Dienstag, 27. November 2007
Die erbärmliche Wahrheit, die ganze beschissene Wahrheit über einen Großteil der Werbung
Die gute Nachricht: Sie ist in der Form im Endstadium, denn sie ist verkommen zu Taschenspielertricks. Wer fällt auf mein Angebot rein? Die Zeit der großen charmanten, intelligenten, stilvollen, humorvollen Verführung ist längst vorbei. Extreme Manipulation ist angesagt, Werbedröhnung statt Werbebotschaft. Der Werber ist zum Dealer der Konsumgesellschaft verkommen und seine Drogen, die er an den Konsumenten bringen soll, sind in der Regel schlecht. Der Respekt, den die Gesellschaft dem Werber zollt, ist unterirdisch. Diesem Beruf nachzugehen, ist in den Augen vieler eine echte Schande. Man sollte besser was sinnvolleres mit seinem Leben anfangen, anstatt betrügerische Werbefeldzüge auszuhecken. Aber wie bei den Drogen, es gibt eben viel Geld zu verdienen. Oder sagen wir besser, es gab viel Geld zu verdienen. Das liebe, gute alte Geld. Auch an dieser Stelle muss es als Ausrede herhalten.
Wie konnte es soweit kommen? Was um Himmels willen hat die Werbung dazu gebracht, so schlecht und wirkungslos zu werden? Ganz einfach – die Habgier der werbetreibenden Unternehmen. Und die eigene Habgier natürlich. Und die Selbstüberschätzung. Und die völlige Unterschätzung des Konsumenten auf ganzer Linie. Der denkt ja! Der assoziiert ja! Der hat ja eine eigene Meinung! Präferenzen! Der schaltet ab und um! Der schaut weg! Der wirft weg! Der blättert einfach darüber hinweg! Der ignoriert! Der trifft eigenständige Entscheidungen! Wer hätte das gedacht? Dieses dumme Konsumvieh macht, was es will! Darf es das? Wer hat das erlaubt?
Die Briefings der werbetreibenden Unternehmen klingen in der Regel heute noch so wie vor 20 Jahren. Immer mehr Umsatz, immer mehr Bekanntheit, immer mehr Verkäufe, immer mehr Menschen am Point of Sale - immer mehr. Qualitativen Traffik. Nachhaltigen Umsatz generieren. Ungestützte Bekanntheit. Der feste Glaube an das ewige Wachstum ist ungebrochen. Wie blöd, abwesend, ignorant und mit falschen Dingen beschäftigt muss man eigentlich sein, um das Ticken der eigenen Zeit nicht wahrnehmen zu können? Von Seiten der Werbetreibenden. Die Werbung selbst sieht das schon lange anders. Sie weiß, dass alles, was sie da macht, nichts bringt, außer den Karren noch tiefer in den Dreck zu ziehen. Die Werber sind da wie die japanischen Walfänger, bis zum letzen Wal. Na und, solange ich über die Runden komme. Aber das ist mit Drogendealern eben so. Die wissen nur allzugut, dass Drogen ungesund sind und dass ihre besten Abnehmer in der Regel auf der Strecke bleiben. Aber was soll man da machen? Macht man es nicht selbst, macht den Dreck ein anderer. Schlechtes Gewissen? Nein, keine Spur. Drogen sind in der Regel ja natürliche Produkte, wie schlechte Ideen. Der Markt verlangt ja danach. Und einer muss es eben tun.
Der Werber macht es ebenso. Er will auch leben. Hat auch Träume. Will sich auch was leisten können. Also macht er genau den Mist, den sein Kunde bestellt. Und er liefert ihm den Mist auch noch. Immer verbunden mit der Gewissheit, dass es nachher wieder an ihm liegt, dass es mal wieder nicht funktioniert hat. An die Prügel hat er sich gewöhnt. Auch an das schnelle kommen und gehen von Kunden. Keiner will Schuld sein, also ist es immer der Werber.
Anstatt aber die Richtung zu wechseln, wird einfach die Dosis erhöht und die Botschaft gestreckt, immer und immer wieder, bis hin zur völligen Wirkungslosigkeit. Früher war das anders, da gab es ein Niveau. Um mitmachen zu dürfen, musste man das erreichen. Heute gibt es nicht nur kein Niveau mehr, sondern dieses sollte man am besten erst gar nicht mitbringen. Die Kreativabteilungen von Werbeagenturen und die Marketingabteilungen von Unternehmen haben somit den Level dieser Vormittagstalkshows erreicht. Das muss man wohl als Endstadium einer langen verherrenden völligen geistigen Umnachtung beschreiben.
Die Kultur, der Anstand, der Respekt, alles das hat sich in Selbstgefallen aufgelöst. Der Konsument wird der Länge nach verarscht. Marketingleiter lassen sich miese kleine Tricks einfallen, wie Konsumenten in seine Falle tappen könnten. Diese Tricks sind so dumm wie übel wie wirkungslos. Zudem zerstören sie sukzessive weiter das so wichtige Vertrauen. Ganze Märkte werden geopfert für einen Deal. Ganze Branchen werden ruiniert für wertlose Marktanteile. Und der Werber setzt diesen Schwachsinn auch noch um und in Szene. Immer lauter. Immer aufdringlicher. Immer peinlicher. Immer erbärmlicher.
Wo man früher noch höflich um Aufmerksamkeit gebeten hat, wird man heute angebrüllt, tätlich angegangen, für blöd verkauft. Es ist durch und durch ideenlos und wirkungslos. Es ist nicht mehr zeitgemäß. Und es ist am Menschen, den es gilt zuerst zu erreichen, um den Käufer in diesem Menschen zu erreichen, komplett vorbei gedacht.
Das verrückteste ist nur, dass die Macher immer noch glauben und überzeugt sind, dass dies der einzige Weg ist, den Wert immer mehr verringern, die Leistung immer mehr zu schwächen, die Kosten stetig nach unten zu schrauben. Sie sind bis auf weiteres auf einem Minimierungstrip, der hoffentlich am Ende zum Ergebnis hat, dass sie sich selbst wegrationalisiert haben, dass sie sich wie Eiswürfel in einem Glas in ihrem eigenen Schwachsinn aufgelöst haben.
Wie gerne würden viele Werber wieder Ideen ins Leben rufen. Aber niemand fragt sie ernsthaft danach sondern nur, wie man eine nächste überflüssige Konsumwelle auslösen kann, die wie alle anderen wieder im Sand verläuft. Es ist eine schwere Zeit für ernsthafte Strategen, Gestalter und Ideengeber. So lange ich dabei bin, die schwerste. Aber ich halte das aus, weil ich überzeugt bin, dass nach dem langen Nichts wieder etwas kommt und im Mittelpunkt stehen wird – die Idee.
Geschrieben von Christof Hintze
in Marketing Denkanstöße
um
07:48
| Kommentare (0)
| Trackbacks (0)
Tags für diesen Artikel: Marketing Denkanstöße
Artikel mit ähnlichen Themen:
Kommentare
Ansicht der Kommentare:
(Linear | Verschachtelt)
Kommentar schreiben