Die Städteplaner hatten Anfang der 70er große Pläne. Sie schufen ganze Städte auf einen Schlag. Aus der Retorte. Lebensraum für tausende Familien vom Zeichenbrett. Sozialer Wohnungsbau. So entstand auch der Kölner Stadtteil Köln-Chorweiler. An alles haben die Idealisten und Visionäre damals gedacht. Es gibt ein City-Center zum Einkaufen. Ein Schwimmbad. Es gibt eine Polizeidienststelle. Kindergärten. Spielplätze. Schulen. U-Bahn. Busbahnhof. Ein Ärztehochhaus. Alles, was ein Ballungsraum braucht, wurde auf einen Schlag gebaut. Ein Plan der 70er.
Ein Scheißplan, wie sich einige Zeit später herausstellte. Denn es war ein Plan, der das Wesentlichste nicht berücksichtigt: den Menschen. Denn Chorweiler ist schnell ein sozialer Brennpunkt geworden. Eine Stadt mit einem Ausländeranteil weit über 50%. Mit vielen Menschen am Existenzminimum. Mit vielen Arbeitslosen. Mit viel Kriminalität. Mit viel Aggressivität und Gewalt. Mit vielen Selbstmorden. Woher ich das weiß? Ich bin da zur Schule gegangen. In die Heinrich-Böll-Gesamtschule Köln-Chorweiler.
Deshalb hab ich ein sehr genaues Bild von assozial, wenn andere glauben, über dasselbe zu sprechen. Ein sehr detalliertes. Denn ich war da. 8 Jahre lang. In einer Stadt ohne Seele, ohne Herz. Die einem nie das Gefühl von zuhause vermittelt. Das wohl größte Asylantenheim Deutschlands. Zum Glück habe ich ca. 20 Kilometer davon entfernt gewohnt. Aber ich habe nichts vergessen. Die Bilder sind alle noch da, als ob es gestern war. Dabei habe ich im Juni 1985 das letze Mal den Boden von Chorweiler betreten. Denn wer diesen Ort einmal verlassen hat, der kommt nie wieder.
Schon damals war ich sehr verwundert über die Pläne, die einem schon auf den ersten Blick vor Augen führten, dass sie nie aufgehen würden. Ob einer der Planer oder Architekten von Chorweiler je selbst dort gewohnt hat? Wohl kaum. Das ist auch das Elend mit der Werbung. Es fehlt die Nähe zu den Dingen und Zielgruppen. Die man sieht und spürt. Zuviel Distanz. Nur mit spitzen Fingern berührt. Ich merke, dass da jemand etwas nicht selbst anfassen, begreifen oder respektieren will. Das geht so weit, dass die Zielgruppe regelrecht verarscht wird.
Ich sag ja nicht im übertragenen Sinne, dass jeder in Chorweiler wohnen muss, um zu kapieren, was da los ist, aber man sollte die Menschen nicht veräppeln. Respekt ist das Wichtigste. Distanz verhindert diesen. Wer Distanz bewahren will, sollte zumindest den Respekt um so mehr auftrecht erhalten.
Sonst haben die Pläne der Werbung die selbe verheerende Wirkung wie die der Städteplaner in der 70ern. Denkt an die Menschen. Die Arbeitsplätze. Den Nutzen. Die Lebensqualität. Niemand möchte in einem schlechten Plan aufwachen.
Deshalb amüsiert mich die Unterschichten-Diskussion sehr. Nicht hinsehen, bedeutet nicht, dass es nicht trotzdem da ist. Nicht wahr haben wollen, bedeutet nicht, dass es nicht längst irgendwo traurige Realität ist. Das ist ja wie in der französischen Revolution, als das hungernde Volk um Brot bettelte und Marie Antionette sich die Bemerkung nicht verkneifen konnte, zu äußern: Wenn die kein Brot haben, warum essen sie denn keinen Kuchen?
Ich wünsche allen Schichten eine schöne Woche.