Dienstag, 25. Oktober 2011
Das ist nicht witzig.
Wir leben wie im Film. Für die Öffentlichkeit. Etwa am Arbeitsplatz oder wo auch immer, wir bewegen und verhalten uns nur noch wie vor laufender Kamera. Wir posieren, gestikulieren, wir verbalisieren, wir stellen uns dar wie auf der Bühne.
Alles das, was das wirkliche Leben ausmacht, findet nicht mehr statt. Außer es fügt sich in den Dreh ein. Der Tod unserer Eltern passt da gar nicht gut ins Bild. Dabei hat doch jeder, der sich im Café in Szene setzt, einen Vater und eine Mutter. Aber die sind entweder da und bei Kräften, oder sie sind plötzlich weg. Aber das ist nur die graue Theorie.
In der Realität gibt es morbide Pflegefälle, plötzliche Notfälle, die jahrelange Versorgung erforderlich machen, die manchmal eine schiere Ewigkeit dauert. Aber, erstaunlich genug, nichts davon findet seinen Weg in die Öffentlichkeit.
Wenn Menschen leiden, krank sind oder sterben, dann passt dass nicht zur Inszenierung der schönen heilen Welt, in die wir Tag für Tag so viel Zeit investiert. Da muss alles passen, sitzen und klappen. Erfolg ist angesagt, den wollen wir vor Augen haben, den sollen wir darbieten.
Wie passen zu dieser Rolle so unappetitliche, das schöne Bild schwächende Aspekte? Sie werfen störende Schatten. Das ist so, als ob der Hauptdarsteller im Film kacken würden. Mit sound surround. Oder onanieren. Oder andere Dinge des daily life absolvieren würden, über die wir den gnädigen Mantel des Schweigens breiten. Popeln während der Autofahrt. Furzen im Flur. All das findet nicht statt.
Wir sind doch eigentlich Menschen ohne all diese Hässlichkeit. Wir sind straight, cool, sexy, entspannt, allwissend, sportlich und brutal erfolgreich. Tolle Ehe. Tolle Kinder. Tolle Hobbys. Alles toll.
Wenn da nur nicht diese Wirklichkeit wäre. Die einen Zeit, Geld und reichlich Nerven kostet. Und ganz neben auch noch die Gesundheit annagt. Ich habe einen Fall miterlebt von einem Menschen, dem ist innerhalb von sage und schreibe drei Wochen die Mutter gestorben, er hat den Job verloren, die Freundin ist ihm gestorben. Und dann ist er selber auch noch mit einer schweren Erkrankung, die ihn nun zeitlebens verfolgen wird, ins Krankenhaus eingeliefert worden. Nun ist er Single. Ohne Job. Krank und ohne Eltern. Und ich weiss jetzt schon, wenn ich ihm in der Stadt begegne, wird er rüberkommen wie alle anderen. Als wäre nichts gewesen. Lässig Antworten wird er geben: Gut, passt schon!
Da stimmt doch was nicht im System - oder?
Wir können nur existieren und überleben im System, wenn wir durchweg erfolgreich sind. Und wenn alles das, was wir ausstrahlen, diesen Erfolg sichtbar macht. Wer will schon mit Loosern zusammenarbeiten. Oder mit Menschen, die Probleme erleiden. Oder die Zeit, Geld und Nerven in etwas anderes investieren müssen, als in ihre Erfolgsstory. Menschen, die ihre Kinder erleben wollen, die ihre sterbenden Eltern begleiten wollen, die mit sich mal alleine seinen müssen, die nicht nur in Status und Ansehen investieren wollen, haben es auf Dauer nicht nur schwer. Sie haben schlichtweg keine Chance.
Die andern sind gesund und top fit. Sie verursachen weniger Kosten, weil sie ja keine Familie ernähren müssen. Sind total flexibel, weil sie ja keine Partnerschaft pflegen müssen. Deshalb ist es für die Karriere am Besten, wenn die Grosseltern entweder früh ableben oder einfach umfallen sind. Von Vorteil ist ebenso: keine Kinder und keine Beziehung. Nicht mal ein Hund. Am besten an nichts binden, von dem Du dich nicht innerhalb von 30 Sekunden trennen kannst.
Nicht rauchen. Nicht trinken. 5 x Sport die Woche. Keine Kosten verursachen. Und immer schön unter 40 bleiben. Und nur für den Erfolg leben. Dann könnte es klappen mit dem dauerhaften Erfolg. Wer die Regeln einhält, bekommt sogar einen Job. Der ist dann zwar beschissen bezahlt, aber das sieht einem ja keiner an, hinter der Sonnenbrille im Café. Und dass das alles auf Pump finanziert ist, fällt ebenfalls nicht auf. Den Schauspielern im Film gehört ja auch nichts von dem, was die so mit sich rumtragen, alles nur Requisite. Wie im wirklichen Leben, in dem alles zur Requisit gerät. Hauptsache die Inszenierung ist geil.
Das ist echt nicht zum Lachen.