Donnerstag, 3. August 2006
Über das Warten und das zu spät Kommen
Nichts passiert zufällig. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass es Menschen gibt, die dazu verdammt sind, ständig und überall zu warten. Das ist so eine Art Fluch aus dem vorherigen Leben. Egal, wann und mit wem diese sich verabreden – sie warten und warten und warten.
Das tun sie aus zweierlei Gründen. Erstens, weil sie es hassen, zu spät zu sein, und deshalb immer viel zu früh sind. Und zweitens, weil alle, mit denen sie sich verabreden, um dem Fluch seine größte Wirkung zu verleihen, natürlich von überirdischen Kräften mit allen Mitteln daran gehindert werden, pünktlich zu sein.
Deshalb ist das Warten ein Teil des Lebens dieser bedauernswerten Menschen. Ein großer und langer Teil. Denn zu dem Fluch warten gesellt sich noch das normale Warten: an der Ampel. An der Kasse. Am Gepäckband. Am Fahrstuhl. Am Flughafen. Am Bahnhof. Am U-Bahnhof. An der Bushaltestelle. An der Trambahn. Am Riesenrad. An der Achterbahn. Im Legoland. An der Kino-Kasse. Auf den Kellner. An der Tankstellenkasse. Bis das Tanken fertig ist. Beim Arzt. Beim Termin. Beim Amt. In allen Service-Warteschleifen der Welt. Am Telefon, bis jemand abnimmt. Bis das Badewasser eingelaufen ist. Bis die Frau fertig ist, und man endlich los fahren kann. Bis die Toilette endlich frei ist. Bis der Geruch aus der Toilette auch endlich verschwunden ist. Bis der Kellner kommt. Bis das Essen kommt. Bis der Kellner noch mal kommt. Bis der Kellner wieder kommt. Bis der Kellner die Rechnung bringt. Bis die Verkäuferin sich einem widmet. Bis die zweite Kasse im Supertmarkt endlich aufgemacht wird. Im Stau. Bis jemand endlich aus dem Parkplatz raus ist, damit man selbst rein kann. Bis alle aufgegessen haben. Bis jemand zurückruft, der sofort zurückrufen wollte, vor einer Stunde.
Aber trotzdem ist das schlimmste Warten, also die brutalste Form, die, bei der man sich verabredet hat und man da sitzt.
Und da sitzt.
"5 Minuten. 10 Minuten. Unglaublich: 15 Minuten. War das überhaupt heute? Ärgerlich, schon 20 Minuten. Das könnte sie sein ... Nee! Haben wir uns überhaupt hier verabredet? Oh Gott, eine halbe Stunde. Noch 5 Minuten, dann gehe ich! Die kann mich mal!! Noch 3 Minuten, das fasse ich nicht. Sollte ich mal anrufen? Ich denke nicht dran. 40 Minuten! Mir fehlen echt die Worte! Vielleicht ist was Schlimmes passiert? 42 Minuten, genug ist genug. Wo ist der Kellner? 47 Minuten. Das darf doch echt nicht wahr sein – da ist sie, da kommt sie! Endlich".
"Na, wartest du schon lange?"
"Nee, ich bin auch gerade erst gekommen!" (Ärger, Ärger, Wut!)
Der chronisch Unpünktliche hat keine Vorstellung von der Qual der ewig Wartenden. Das Einzige, das einem den Schmerz lindert, ist, dass es im nächsten Leben anders herum geht. Dabei wäre die Lösung für alle so einfach. Immer 15 Minuten früher los als nötig. Und die Unpünktlichkeit wäre ausgestorben.
Aber wem erzähle ich das?
PS: Dieser Artikel sollte eigentlich 15 Minuten früher erscheinen – Verzeihung.
Geschrieben von Christof Hintze
in Wilde Thesen
um
07:02
| Kommentare (0)
| Trackbacks (0)
Artikel mit ähnlichen Themen:
Kommentare
Ansicht der Kommentare:
(Linear | Verschachtelt)
Kommentar schreiben