Montag, 12. November 2007
Über die ganz anderen Menschen
Wie oft habe ich diese Äußerung schon vernommen. Was in sich schon den eigentlichen Hinweis darauf enthält, dass es hier mit der Individualität nicht weit her ist und man es sich in der Konformität richtig nett gemacht hat.
Die Wohnungen und Häuser sind voller Menschen, die ganz anders sind. Dabei kann man sie unmöglich auseinanderhalten. Man müsste mehr auf Nuancen achten. Winzige Details. Wie bei eineiigen Zwillingen.
Die Menschen fühlen sich wohl in der Konformität. Man ist wie die anderen. Wie alle anderen. Und kann trotzdem aus sicherem Konformitätsabstand behaupten, ganz anders wie die anderen zu sein. Warum nur? Warum die ganze Mühe – anders sein zu wollen – wenn man offensichtlich gleich sein will.
Die Anpassung als oberstes Prinzip in der Evolution für die Sicherung des Fortbestandes hat einen emotionalen Gegenspieler, die Individualität. Der Wunsch, so sehr man selbst zu sein, sich so nah zu sein, dass daraus etwas ganz unverwechselbares individuelles entsteht, ist nicht gering und wächst an.
Ob Frau Müller oder Herr Maier an der Hotline ist doch völlig egal. Menschen haben sich selbst zu Funktionswerkzeugen degradiert. Namenlos und gesichtslos. Man funktioniert wie eine Maschine. Man läuft eben einfach rund. Wie die vielen anderen Maschinen. Man ist so genau wie Maschinen und so zuverlässig. Der Mensch strebt geradezu danach, die Perfektion einer funktionierenden Maschine zu haben. Kein Wunder, dass er dabei seine Individualität verliert.
Man ordnet sich unter und ein. Man passt sich an. Man gehört dazu. Man gleicht einem Ei wie dem anderen. Damit scheint die Chance am größten zu sein, unerkannt zu bleiben und so besser durchzukommen. Lieber ein Grashalm von Millionen sein als ein Pilz, der aus der Wiese der Konformität herausragt.
Soweit so gut. Aber der Gegenspieler der Individualität hat auch einiges zu bieten. Und das wird immer interessanter und erstrebenswerter. Der Unterschied wird zunehmend anziehender. Die Ecken interessanter. Die Kanten bewundernswerter. Das Leben in der Konformität ist auch ein Leben in der Anonymität. Das unter- und abtauchen zeigt auf Dauer seine Nebenwirkungen. Immer mehr Menschen wollen etwas anderes, als das was gerade ist. Sie wissen nicht was und sie wissen nicht wie, wann und warum. Aber das Bestreben, etwas zu verändern wächst. Spürbar.
Die individuelle Klasse entsteht. Entwickelt sich. Vergrößert sich. Und vieles an diesen Menschen ist völlig anders als das Verhalten der Menschen, die man im Allgemeinen so kennt. Denn das Bewusstsein hat das Denken und damit das Handeln verändert.
Der wirkliche Individualist würde von sich nie behaupten, einer zu sein. Er bemerkt es nicht mal so richtig. Denn er spürt dieses Defizit, dass ein Konformist verspürt, nicht. Dessen Sehnsucht, irgendwie anders zu sein. Die sich vor allem darin ausdrückt, alles zu unternehmen, um anders zu sein. Was sich in der Regel nur in Äußerlichkeiten ausdrückt. Er sammelt Symbole der Individualität um sich, was der Individualist nicht tun würde.
Somit ist es wie in einer Geistesheilanstalt. Diejenigen, die behaupten verrückt zu sein, die schickt man nach Hause. Hingegen dürfen diejenigen in einem Zimmer für lange Zeit Platz nehmen, die voller Überzeugung von sich behaupten, völlig gesund zu sein.
Die Gefängnisse sollen auch zum überwiegenden Teil voller Unschuldiger sein. Somit liegt es in der Natur des Menschen, dass er von sich behauptet zu sein, was er nicht ist. So einfach kann kompliziert sein –wenn man es weiß.
Also ist die Gegenteilsannahme betreffend einer Behauptung oft die bessere und die richtigere. Schon verrückt. Aber ich kann nichts dafür – ich bin unschuldig.