Mittwoch, 12. Oktober 2011
Vielleicht
Vielleicht steht unser System an einem Scheideweg, einer Kreuzung? Kann aber auch sein, dass dies jede Gesellschaft immer irgendwie glaubt und dann geht es trotzdem so weiter wie immer. Keine Ahnung.
Aber wenn man sich das kollektive Versagen von Politik, Wirtschaft und Medien ansieht, dann kommt der Gedanke auf, dass es doch so nicht weitergehen kann. Aber vielleicht kann es auch doch. Vieleicht ist es wie immer nach der ersten Aufregung schon bald wieder ruhig und es geht so weiter wie immer.
Ich verfolge seit vielen Jahren einen Gedanken, der mich abhält und abgehalten hat, mich mehr zu engagieren. Das, was mich abhält und abgehalten hat, ist das, was jetzt offensichtlich wird. Ich möchte da niemanden anklagen. Die Menschen sind nicht so geboren, man hat das aus ihnen gemacht. Somit liegt das Versagen schon in der Kindheit, in der Schule. Hier wurden falsche Ziele und falsche Werte vermittelt.
Es ist offensichtlich, dass persönliche Interessen immer mehr in den Vordergrund gerückt wurden und dass man diese mit allen Mitteln und auf allen Wegen erreichen darf. Das hat zu einer starken Veränderung in unserer Gesellschaft geführt. Es ist die Zeit der Egoisten.
Und wer diese Einstellung nicht teilt und unter der Haut sitzen hat, der steht einer solchen Einstellung wehrlos und hoffnungslos gegenüber. Da gibt es eine Reihe von Menschen, die haben ein Denken und Handeln legitimiert, das vielen anderen völlig fremd ist. Somit muss man sich entschieden, ob man da mitmachen kann und will oder nicht.
Ein Unternehmen zu kaufen, nur mit der Absicht verbunden, dieses auszupressen und möglichst viel für sich selbst herausholen zu wollen, das muss man mögen. Die meisten Unternehmer sind deshalb zum Unternehmer geworden, weil sie etwas Nachhaltiges schaffen wollten. Etwas, das auf lange Sicht funktioniert. Aber das ist Nostalgie. Heute würden die meisten für eine schnelle und hohe Rendite alles tun.
Somit ist das Bestreben nach Verbesserung und Qualität verblasst. Für den persönlichen Erfolg wird alles geopfert, vor allem die Moral. Scheiß auf die Moral, wenn es Geld bringt. Das Versagen liegt meiner Meinung nach bei den Ideologen. Die Politik hat nicht mitbekommen, dass es nicht mehr um Ideologien geht, nicht mehr um Links und Rechts und Mitte. Die Politik hat sich irgendwann nur noch mit sich selbst beschäftigt. Es ging nur noch um das Vorankommen in einer Partei und wie viel Prozente man auf welchen Wegen erlangt. Die Politiker sind die Eltern einer Gesellschaft. Die Kinder schauen diesen alles ab. Die Politik muss sich vorbildlich verhalten, sonst legitimiert sie ein solches Denken und Handeln, wie es uns heute dorthin führt, wo wir uns nun befinden.
Die Politik hat mit Steuerhinterziehung, mit Spendenaffären, mit Lügen, um Wahlen zu gewinnen, und all den vielen anderen Verfehlungen ein Denken legitimiert, das sie heute verurteilt. Das ist ähnlich kurz gedacht, wie wenn Eltern selber Kette rauchen, ihren Kindern aber das Rauchen untersagen.
Die Spitze der Poltik, Medien, Wirtschaft und Gesellschaft klüngelt zudem derart häufig zusammen, dass wir davon ausgehen müssen, sie tauschen sich darüber aus, wo und wie man sich für die eigenen Ziele am besten am System bereichern kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Menschen sich in der Schweiz und in Lichtenstein die Klinke in die Hand gegeben haben, ist sehr groß.
Die Vorbilder werden ihrer Verantwortung nicht gerecht und haben sich die moralische Führung entreißen lassen. Oder wie ein Fussballtrainer unlängst bemerkte: Der rote moralische Faden ist gerissen.
Das größte Problem ist die personelle Besetzung. Da sägt keiner an dem Ast, auf dem er sitzt. Ganz im Gegenteil: es wird von allen alles unternommen, damit für alle alles so lange weitergeht wie nur möglich. Das mag auch die unfassbar abstoßende Habgier erklären. Somit scheint es aber doch eine letzte Chance auf einen Wandel zu geben. Denn wenn diese Entwicklung weitergeht wie bisher, dann werden die Auswüchse immer perverser und unerträglicher geraten. Und das kann dann nicht mehr folgenlos bleiben.
Somit steht ein kompletter Wechsel bevor. Das auf dem Kopf stehende System muss wieder auf die Füße gestellt werden, zurück auf den Boden der Tatsachen. Ich denke, es geht letztendlich um Fragen der Moral. Eine Moral, welche die Gemeinschaft – erlebbar – in den Vordergrund rückt. Denn als Gemeinschaft haben die Menschen oftmals Großes erreicht. Und es war zusammen auch immer schöner. Wie sehr uns das Gemeinschaftsgefühl abhanden gekommen ist und fehlt, sieht man an den vielen Communities im Internet. Wenn wir den Menschen retten wollen, und darum geht es in erster Linie, geht das nur unter Wahrung moralischer Gesichtspunkte. Denn ohne den Menschen können wir die Moral nicht retten. Und ohne diese Moral können wir das Bewusstsein nicht ändern. Und ohne das richtige Bewusstsein können wir die notwendigen Neuerungen und Veränderungen weder einleiten noch umsetzen.
Somit geht es um die moralische Rettung des Menschen. Weg vom 100 %-Egoismus hin zu einem Gleichgewicht aus Altruismus und Egoismus. Nur, mit denen, die sich da gerade am Start in pole position befinden, ist ein neues und andersartiges Startmanöver sicher nicht zu machen. Somit müssen das Übel und das Leiden noch dramatisch anwachsen, bevor der Mensch bereit ist, seine inneren Haltungen und gedanklichen Positionen zu überdenken. Was nichts kostet, ist eben auch in diesem Fall nichts wert. Aber bei den Auswüchsen, die uns da täglich präsentiert werden, kann es nicht mehr so lange dauern, bis die Zeit dafür gekommen ist.
Ich denke jeden Tag, ich sitze im falschen Film.
Bemerkung: Diesen Beitrag habe ich am 30. Dezember 2010 geschrieben, einen Tag vor Silvester.