Mittwoch, 23. Mai 2007
www = welt weit wahn
In der Bloggerszene geht der Wunsch nach dem unendlichen Reichtum um. Nach dem ultimativen Businesscase. Nach der Killerapplikation. Somit betreiben die meisten Blogger ihre Blogs nur aus einem Grund: In der Hoffnung, auf Web-Öl zu stoßen. Oder auf eine Online-Goldader. Und wie im wirklichen Leben steckt jeder seinen Blog-Claim ab und macht darauf seine seltsamen Versuche. Dabei scheint es besonders wichtig zu sein, jedem, der es auch nicht hören will, kundzutun, dass man kurz vor dem riesen Ding ist. Dabei kommen mir viele Blogger so vor wie faule Hartz 4 Empfänger, die einen kläglichen Versuch unternehmen, locker vom Hocker mal eben reich zu werden. Aber besser, sie treiben sich im Web, als auf der Straße herum.
So erfährt man auf vielen Blogs unter anderem wie es geht. Das alles. Die meisten Formulierungen fangen aber mit hätte, wenn und aber an. Und das ist bekanntlich alles nur Gelaber. Die investierte Zeit in Blogs weltweit in das Machen und in das Lesen ist nicht gering. Aber das alles verteilt sich global gesehen auf Staubkorngröße.
Muss den jeder, der ein Instrument in die Hand nimmt, John Lennon oder Sting werden? Ist denn der einzige Sinn ein Instrument zu erlernen dadurch zu begründen, dass man schweinereich wird? Oder muss das Ziel eines jeden Kochs sein, bei Kerner zu kochen? Wer sich für eine Partei engagiert, muss der immer nur das eine Ziel Kanzler/-in vor Augen haben? Kann man nicht einfach ein wenig fußballspielen, muss das Ansinnen immer Profi werden sein?
Ich finde die Blogger-Szene hat bis auf wenige Ausnahmen falsche Ziele, falsche Vorstellungen. Es kommt mir so vor wie in den 70ern, als in jedem Keller eine Band geschrabbelt hat. Alle nur einen Schritt davon entfernt, Megastar zu werden. Muss denn alles immer im Reichtum enden? Auch das Bloggen? In Deutschland spielen 5 Millionen Menschen Fußball, davon werden 0,012 % Profies. 99,988 % sollten daher mehr hoffen, dass sie Spaß am Spielen haben. Und so verhält es sich mit allem und allen. Nur max. 1 % schaffen es zu Reichtum. Und dieses 1 % sollte man sich mal genau ansehen. Ob das so erstrebenswert ist, dafür das herzugeben, was man am liebsten macht.
Also, ich schreibe gerne. Und ich würde auch gerne vom Schreiben leben können, sogar gut. Aber es könnte mir passieren, dass sich dieser Wunsch nie erfüllt. Wie bei 99 % aller, die schreiben. Somit scheint es für mich erstrebenswerter zu sein, mir meine Lust und den Spaß am Schreiben zu erhalten. Die Energie, die ich dadurch gewinne, zu erhalten. Mir die Reflektion meiner Betrachtungen zu erhalten. Egal, wie es aus- und weitergeht. Als ständig darüber nachzudenken, wie man mit wenig Aufwand über Nacht steinreich wird.
Somit ist das Blog ein schönes technisches Tool, um sich selbst unter positiven Druck zu setzen zu schreiben. Das Image ist eigentlich schon ziemlich schlecht. Wenn man sagt, dass man einen Blog betreibt, winken die meisten schon ab. Der Gedanke der Klowände herrscht vor, auch ohne, dass dies jemand laut gesagt hat. Das Niveau ist oft fürchterlich. Keine Kontinuität. Langweilig. Überall steht dasselbe. Der Inhalt ist morgen vergessen und unwichtig. In einer Gesellschaft, die immer mehr Informationen ausschüttet, sind die Blogs der Megagau. Denn eigentlich heißt es für jeden intelligenten Menschen weglassen, loslassen, reduzieren und konzentrieren. Denn die Menge ist nicht mehr zu verarbeiten und zu qualifizieren.
Und Blogs sind da der Alptraum. Selten recherchiert. Subjektiv vom ersten bis zum letzten Buchstaben. Immer darauf bedacht, möglichst viel Trafik anzulocken. Somit ist die inhaltliche, kommunikative Leistung aller Blogs sicherlich auch bei gerade mal 1 % anzusehen. Das bedeutet bei 44 Millionen Blogs, dass nur 440.000 etwas Relevantes zu sagen haben. Nicht immer, aber manchmal. Mal der eine, mal der andere. Mal mehr, mal weniger.
Wer soll das filtern? Wer soll da durchblicken. Auf der anderen Seite sind die Blogs für Google zum Beispiel ein Traum, da Inhalte der Blogs mehr bewertet werden als die der Industrie. So muss diese immer mehr bezahlen, um sich vorne platzieren zu können. Somit sind die Blogger ca. 44 Millionen Mitarbeiter von Unternehmen wie Google, nur mit dem kleinen Unterschied, dass es da Milliarden gibt und auf Bloggerseite keinen müden Euro. Denn die machen das für Goggle alle gratis. Der Eitelkeit wegen. Der Anerkennung. Des Geltungsdranges. Wegen des Minderwertigkeitskomplexes.
Denn mal ehrlich: Warum sollte jemand 10 Millionen Euro für einen Blog bezahlen? Was kauft er denn dafür. Der Kontent ist bei 99 % nichts Wert. Der Trafik ist bei 99 % nichts Wert. Weil zwar viele kommen, aber oft nur Sekunden bleiben. Tags schaffen zwar Trafik, aber von welcher Qualität? Keiner! Somit finde ich den Weg der Süddeutschen sehr gut, die jetzt im Süd Café und mit der Kommentarfunktion etwas sehr Richtiges und Gutes gemacht hat. Sie benutzt den Blog als Kundenbindungs- und Gewinnungsmittel. Ein kleines Tool, aber ein sehr modernes. Denn die Qualität der Kommentare ist zu 99 % erschreckend.
Somit gibt es doch einen Grund dafür, dass Menschen Jornalisten sind. So richtig mit Ausbildung, Studium und Erfahrung. Das liest sich schon mal ganz anders als diese spontanen Pöbeleien. Ich habe keine Ahnung, was und wohin es mit dem Blog geht. Es ist mir auch ein gutes Stück weit egal. Was mir daran gefällt ist, dass es mich diszipliniert hat, zu schreiben. Nicht nur mal so, sondern regelmäßig. Das mache ich für mich. Und ich spüre, dass es mir gut tut. Was es in der Welt da draußen anrichtet, weiß ich nicht. Aber das ist eine ganz persönliche Sache. Wie alles, was ich freiwillig machen. Manchmal wünsche ich mir, das mehr Blogger weniger den Business-Case im Kopf hätten, und anstatt dessen lieber etwas sagen würden. Was mich erreicht, berührt, zum Lachen, Nachdenken, Überdenken oder Umdenken bringt.
Aber da kommt nur sehr, sehr wenig. Denn unverwechselbaren, zeitlosen, wertvollen Content zu produzieren könnte sinnvoller sein.
ich meine, du schreibst ja nicht gerade wenig. Doch für solche glänzenden Artikel wie hier lese ich immer und immer wieder rein.
Das Schielen nach Anerkennung, die Sehnsucht virtuelle Ferne auszuleben, auf Verwandte treffen, sich die Nase blutig stoßen an der Reaktion anderer, nach dem verbalen Spiel wieder lachen und bei einem Pils alles lächerlich finden und durchs Schreiben Dinge für sich selber klarer kriegen. ist es das nicht alles?
Aber Geschäfte machen direkt durchs Bloggen? lächerlich gering. ein paar Euro mal hier oder da. Davon leben?
würd ich auch gerne machen. wenn denn jemand bezahlt...
wir sind alle erst am Anfang von allem.
ich fühle mich angesprochen und daher in "Verteidigungsnot". Ich sehne mich überhaupt nicht danach, über das Internet Bilder zu verkaufen – ich sehe mich mit den Bildern eher woanders
Und natürlich geht es mir auch um eine Anerkennung von aussen, die sich vielleicht irgendwann auch finanziell ausdrückt - denn von einem Interesse allein lebt es sich schlecht (da bin ich ganz Pragmatiker und Tassensortierer). Ich will nicht selbstgenügend durch das Leben ziehen und ich weiss, ich brauche und schätze die Kritik und das Lob von aussen.
Es ist wichtig Visionen zu haben und diese erreichen zu wollen. Nicht als ein Leitgedanke für die Arbeit sondern einfach um den Massstab für sich selbst höher anzulegen.
So. Und nach einigen Gläsern Wein hoffe ich, morgen nicht das gefühl zu haben mich in weitere Erklärungsnot gebracht zu haben
Der Antrieb für Arbeit sollte immer aus sich selbst kommen; da stimme ich zu.
Und nun muss ich mal weiterarbeiten