Mittwoch, 3. Januar 2007
Ziviler Ungehorsam
Für alle, die es nicht wissen: Seit Januar 2002 ist eine fette Krise über unser Land hinweggerollt. Die wiederum in ihrer destruktiven, zerstörerischen Tragweite von vielen Nebenschauplätzen zusätzlich angeheizt wurde. Der 11. Spetember hätte vielleicht ausgereicht. Aber wir hatten da noch das Theater mit dem EURO. Basel II. Die Wiedervereinigung. Das Zerbersten der New Economy-Blase. Der Absturz der Börse. Das Aufkommen des Share Holder Value. Die Flut der Controller. Das Aufkommen der Selbstbedienungsmentalität im Management. Das müsste es eigentlich gewesen sein. Aber sicher sind mir ein paar katastrophale Nebenschauplätze jetzt entgangen. Oder ich habe diese verdrängt.
Alle, die sich zu diesem Zeitpunkt im Mittelstand aufgehalten haben, wissen, wovon ich rede. Alle anderen müssen jetzt einfach lesen und glauben. Jedenfalls kam es ganz dicke von allen Seiten. Ich persönlich habe diesen Ausnahmezustand noch dadurch gekrönt, in dem ich Vater von Zwillingen wurde und meine Frau deshalb kein geregeltes Einkommen mehr erhielt. Wenn schon, denn schon.
So gibt es bis zum Januar 2002 einen Lebensabschnitt, den ich gerne als Double-Income-No-Kids bezeiche. Und ein Jahr später als Double-Kids-No-Income. Das Dumme an Katastrophen von einem solchen Ausmaß ist, dass man diese in ihrer Tragweite völlig unterschätzt. Nachher ist man schlauer. Und währenddessen sind um einen herum alle viel schlauer. Aber wer mitten drin steht, der denkt nur: Was für eine riesen Scheiße. Und dann fängt man an, sich an das Überleben zu machen. Was den Alltag völlig verändert. Die Post ist nur noch grün, grau und gelb. Und man muss sie regelmäßig quittieren. Das Wort Liquidität erringt einen Stellenwert wie Wasser nach zwei Wochen ohne in der Wüste. Alles ändert sich. Dramatisch, aber man reagiert darauf träge, ungläubig und fassunglos. Was das Ausmaß noch zusätzlich verschlimmert. Aber wer in der Scheiße steckt, für den ist die Tiefe nur noch ein Detail.
In dieser Zeit werden einem von allen Seiten die Kerzen ausgeblasen und die Stecker herausgezogen. Und zwar so lange, bis du aufgibst und zum Amtsgericht trottest und eine Marke ziehst. Mit der du dann endgültig dein Schicksal für die nächsten 6 Jahre besiegelst. Insolvenz. Ständig kamen mir diese erlösten Menschen entgegen, die mir versicherten, wie befreiend es sei, loszulassen. Hör auf zu schwimmen, wenn du sowieso ertrinkst. Aber ich konnte nicht. Habe es nicht fertig gebracht. Ich war zu feige. Ich hänge zu sehr am Leben um das Selbige an den Haken zu hängen, auch wenn es nur symbolisch ist. Nein, das kommt mir nicht in die Tüte. So einfach kann man es sich nicht machen. Jetzt erst recht.
Schön, aber wie? Wenn alle den Hahn zudrehen, einem in den Rücken fallen, die Pistole auf die Brust setzen. Wenn alle nur ihre Forderungen geltend machen wollen. Wenn die Spielregeln sich innerhalb eines Spieles grundsätzlich verändern. Ruhe, dachte ich mir. Immer mit der Ruhe.
Und so bin ich auf Verständnis getroffen an Stellen, von denen ich es nie geglaubt hätte. Und habe auf die Fresse bekommen aus Ecken, von denen ich es ebenfalls nie erwartet hätte. Aber ich möchte an dieser Stelle über die Wichtigen schreiben, die einfach nicht ihren Job gemacht haben, um mir den Rücken freizuhalten. Die alle Grenzen ausgebotet haben, Grenzen überschritten haben, sich selbst in Gefahr brachten, weil sie mir helfen wollten. Es gibt sie da draußen. Und ich sage euch, da, wo jeder glauben würde, von da kannst du keine Unterstützung erwarten. Aber genau von da. Da traf ich auf offene Ohren. Und warf meine ganze Glaubwürdigkeit in die Waagschale. Und siehe da, das Projekt Nussschale im Ozean begann langsam tragfähig zu werden. Weil alle mitspielten. Gerne würde ich Ross und Reiter nennen. Aber ich befürchte, die würden noch heute einen höllischen Ärger bekommen.
Danke. Ich möchte an dieser Stelle "Danke" sagen. Denn ihr sitzt da, von wo alle erwarten, dass da der Spaß aufhört. Da geht nichts. Mit denen kannst du nicht reden. Falsch. Der Ton macht auch oder gerade bei diesen Menschen die Musik. Klarheit. Ansagen. Clear Instructions. Wer hier Vertrauen bricht oder missbraucht, der kann sich mehr als warm anziehen. Hier ist absolute Präzision angesagt. Absprachen und Kommunikation auf höchstem Niveau.
Dass es die note noch gibt und dass es ihr besser geht denn je, ist ein großer Verdienst von Menschen, die in Institutionen sitzen, von denen man das nie erwarten würde.
Deshalb kann ich nur jedem raten, den es mal erwischt. Greift zum Hörer. Redet. Klartext. Gewinnt die für Euch, von denen Ihr am meisten befürchtet. Bei mir hat das fantastisch funktioniert. Natürlich habe ich auch unglaubliche Mitarbeiter und ebenso fantastische Kunden, aber wenn ich ehrlich bin: Deren Engagement und Unterstützung hätte nicht ausgereicht, damit der Schalter nicht umgelegt wird.
(Foto: Peter von Felbert) -
Das was Du durchgemacht hast, haben viele Unternehmensgründer durchgemacht. Vielleicht sind Sie nicht so tief in die Scheiße gerutscht, aber wie tief man ohne Sauerstoff abtaucht ist, wie Du schriebst, zweitrangig.
Diese Höhen und Tiefen gehören meiner Meinung nach dazu, Sie machen einen einerseits härter und andererseits bringen Sie einen Wissens- und Erfahrungsschub mit sich. Im Nachhinein betrachtet, hat man viel daraus gelernt. Die stärksten Dinge lernt man aus den schmerzhaftesten Erlebnissen.
Man wächst damit - buchstäblich aus sich heraus. Was bleibt sind angefressene Blätter, vielleicht auch der eine oder andere abgestorbene Ast, aber im gesamten steht ein stärkerer und grösserer Baum vor Dir.
Bei Oldtimern spricht man von Patina - es macht das Fahrzeug liebenswerter. Es erzählt seine Geschichte, die Spuren hinterlassen hat.
Warum soll es bei uns alternden Menschen anders sein?
Oli Palko