Mittwoch, 3. Januar 2007
Diplomatie
Auch dieser Begriff wird von vielen völlig falsch verstanden und interpretiert. Nicht der Kleinere und Schwächere und Ärmere muss sich leider mit den Mitteln der Diplomatie begnügen. Weil er nicht die Wahl der Waffen hat. Sondern die Mittel der Diplomatie stehen allen gleich gut zu Gesicht. Denn das Ziel der Diplomatie ist es aus einer Mücke keinen Elefanten zu machen. Oder die Kirche im Dorf zu lassen. Auf jeden Fall immer das kleinere Übel zu wählen und in Kauf zu nehmen, statt eine Lawine loszutreten. Diplomatie ist im wahrsten Sinne des Wortes aber eigentlich auch eine Waffe, mit der man Konflikte lösen kann. Ebenso wie ein Großteil der asiatischen Kampfkunst in der Regel darauf beruht, in erster Linie den Kampf zu meiden, in zweiter die Kunst der Verteidigung zu beherrschen und erst zum Schluss gibt es die Option des Angriffs. Wenn alles andere zuvor versagt hat. Und das drohende Übel weitaus größer ist, als es mit einem entschlossenen Eingreifen zu beenden.
Wie ich in den letzten Tagen schmerzlich erfahren musste, haben auch viele Blogger diese Reihenfolge falsch herum in ihrem Kopf. Da wird sofort angegriffen, aufgerüstet und zurückgeschlagen. Danach werden obligatorisch mit dem Blick auf die Verwüstung Entschuldigungen, Verteidigungen und Rückzugsoptionen in Betracht gezogen. Und ganz am Schluss, wenn das berühmte Kind im Brunnen liegt, wird nach der Diplomatie gerufen.
Ich kann Herrn Koffi Annan sehr gut verstehen, wenn er sich über diesen Missbrauch erregt und die Verdrehung der Reihenfolge immer und immer wieder anklagt. Aber in den Köpfen der Menschen herrscht noch ein verdrehtes Bild. Und so können wir täglich in der Tagesschau bewundern, zu welchen herausragend dummen Entwicklungen das führt. Für meinen Teil beginnen alle Nachrichtensendungen, seit dem meine Augen das Licht des Fernsehers erblickt haben, mit der grausamen Aufzählung und Darstellung genau dieser verdrehten Welt.
Vielleicht wird sie deshalb als richtig empfunden? Vielleicht hat unsere Gesellschaft nicht nur Probleme mit Gewalt in Spielen, sondern auch in der Tagesschau? Denn anstatt die richtige Reihenfolge zu befolgen, fordern alle sofort immer das Gegenteil.
Und dabei bitte ich zu beachten, dass nicht nur fast jeder Krieg mit einer Lüge begonnen hat. Sondern fast alle anderen Konflikte beruhen auf dem selben Umstand, dass sich viele vor den Karren von wenigen spannen lassen, um die eigenen Interessen umsetzen zu können. Auch das müsste eigentlich vielen klar sein, trotzdem tappen sie immer und immer wieder in dieselbe Falle der verdrehten Tatsachen.
Die Diplomatie scheint für viele die Waffe der Schwächlinge zu sein. Für alle, die keine echten Waffen besitzen, nutzen oder einsetzen können. Diplomatie ist so eine Art Weicheier-Fraktion, die ständig diskutieren und das Problem aus der Welt reden will. Dabei ist Diplomatie das genaue Gegenteil. Sie ist die höchste Form der Kampfkunst. Sie ist der Sieg ohne Schwert. Sie ist die Niederlage ohne Blutvergießen. Die Diplomatie ist das Höchste, was der Mensch mit dem Geiste zu leisten im Stande ist.
Denn die Diplomatie ist die einzige Form, die sich immer der Gefahr bewusst ist, was passiert, wenn sie nicht funktioniert. Die Gewalt macht sich keine Gedanke darüber. Deshalb beherrschen auch so wenige die Diplomatie. Weil sie den Kopf einsetzt und nicht das Adrenalin oder das Testosteron. Der Mensch neigt aber leider dazu, immer die letzte Option als erstes zu benutzen.
Nur dem letzten Absatz möchte ich mal stellvertretend für die Herren Sunze, von Clausewitz und Machiavelli widersprechen.
Historische Erfahrung inzwischen gestützt durch Spieltheorie zeigt, dass Gewalt und Faustrecht regieren, wo Konflikte als Nullsummenspiel eindeutig von einer Seite gewonnen werden können. Da spielt Diplomatie, und das ist auch heute noch so, nicht die geringste Rolle. Da ist alles so klar, dass es nicht einmal irgendwelcher Lügen bedarf.
Anders, wenn die Verhältnisse komplizierter sind. Dann ist auch für den Stärkeren der Sieg nicht mehr schadlos zu erreichen. Dann - und erst und nur dann gibt es eine Chance für die Diplomatie.
Der erste Absatz, in dem asiatische Kampfkunst angesprochen wird, unterschlägt, dass die genannten Szenarien alle dem einen Zweck dienen: einen möglichst 100-prozentigen Sieg zu erzielen, auf Kosten anderer. Wie Frank auch erwähnt: Siehe Sunzi (das Vorwort).
Worum es dir vielleicht geht, sind die theoretischen Voraussetzungen, Konflikte als Nichtnullsummenspiel zu behandeln. Dann ginge es um so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner, der im Fall von Kompromissen bedauerlicherweise meist nur der kleinste gemeinsame Schaden ist. Und beides: Die Durchsetzung anderer Maßstäbe als das Recht des Stärkeren und die Findung des kleinsten gemeinsamen Schadens ist eine Spielwiese der Diplomatie.
Sonst gilt im Ergebnis, was die Figur Gordon Gecko über Macht gesagt hat: "Warum leckt sich ein Hund die Eier? - Weil ers kann, weil ers kann!"
Um es mit einem anderen mehr oder minder berühmten Zitat ab zu schließen und oder belegen: Hier gibt es nichts zu sehen, bitte gehen sie weiter.