Dienstag, 15. Juli 2008
Mit dem Gewissen vereinbaren
Was für eine seltsame Redewendung. Kann man das mit seinem Gewissen vereinbaren. Und wenn nicht? Und wenn doch? Und wenn ich nicht genau weiß, ob oder ob nicht? Und wenn mein Gewissen sich verändert und eine Entscheidung rückblickend in einem ganz anderen Licht erscheint. Zweifelhaft. Gewissensentscheidungen sind zweifelhaft. Man stelle sich mal die Moralvorstellung 1940 vor. Oder die 1970. Geschweige die moralischen Vorstellungen im Jahre 2000. Ob man alleine lebt. Oder später mit einer ganzen Familie. Wo man lebt ist auch nicht ganz unwichtig.
Mit meinem guten Gewissen vereinbaren, geht ebenso gut wie mit meinem schlechten Gewissen. Kannst Du das mit deinem Gewissen vereinbaren. Das ist doch wieder so eine rhetorische Frage, welche die Antwort selbst impliziert. Allein die Fragestellung nimmt doch vorweg, dass man das offensichtlich nicht so ganz mit einem 100% guten Gefühl über die Bühne bekommen will.
Der Zweifel an einer solchen Entscheidung scheint mir aber wichtig, als nur 100% Entscheidungen zu treffen, bei dem mein Gewissen blöd grinsend nickt. Ich finde das Gewissen kann so einiges ab. Das liegt da mit seinen reinen moralischen Vorstellungen auf der faulen Haut und wenn es ans Eingemachte geht, dann säuselt es etwas wie: Na! Achtung! Ist das auch gut für Dich? Pass auf! Du wolltest doch eigentlich...!
Gewissen. Gewissen - was ist das eigentlich genau. Es ist schon mal kein Organ. Obwohl man das glauben könnte, denn nicht wenige Menschen haben gar keins. Als ob das dazugehörige Organ fehlen würde. Es ist so ein Gefühl. Die Summe meiner Befürchtungen und Hoffungen zusammen genommen in einem Gefühlseintopf.
Aber man darf sein Gewissen nicht unterschätzen, sonst nimmt die Summe der schlaflosen Nächte überhand. Denn es kann einen offensichtlich ganz schön quälen. Da gibt es kein Mittel dagegen, außer sein Gewissen spürbar zu beruhigen. Schon komisch mit diesem Gewissen. Eigentlich werden Entscheidungen ohnehin emotional getroffen. Eigentlich lassen wir uns ohnehin fast ausschließlich von unseren Gefühlen leiten. Und dann kommt da noch der große Einfluss der Hormone dazu, somit sind wir eigentlich alle vor rationalem Hintergrund zeitlebens unzurechnungsfähig. Trotzdem werden wir von allen zur Verantwortung gezogen. Vor allem von unserem Gewissen.
Ich kann nichts wirklich vereinbaren, sondern nur für den Moment entscheiden. Nichts, was ich sage, denke, glaube und weiß, hat eine längere Haltbarkeit als H-Milch. Wie es der Zufall so will und das Glück und das Schicksals, haben einige Dinge in meinem Leben eine beeindruckend lange Haltbarkeit bewiesen. Aber das liegt mehr an meiner Sturheit. Und meiner Ungeduld. Und an meiner Gewissenlosigkeit. Das Leben und der Beruf und das Leben im Beruf scheint mir ein Weg entlang maximaler Plausibilität zu sein. Alles was ich mir ausdenke, ist aus der Summe aller meiner Befürchtungen und Hoffungen entstanden. Aus diesem Eintopf, den alle Gewissen nennen. Und man kann doch unmöglich ein Leben lang dasselbe essen. Das muss einem doch über kurz oder lang zum Halse raus hängen. Man stelle sich nur mal vor 86 Jahre lang Bohneneintopf.
Ich glaube, da liegt der Hase im Pfeffer, wenn ich diese Gewissenfrage stelle, gestellt bekomme oder andere diese gestellt bekommen. Ich kann doch nicht mein Leben lang dieselben Entscheidungen treffen. Allein schon, wenn man bedenkt, wie rot man mit 17 war und wie sehr sich die Farbe im Laufe eines Lebens verändert. Was ich für Musik mit 25 gehört habe und was ich heute höre. Alles verändert sich. Aber mein Gewissen soll dasselbe tun, ein Leben lang versuchen, eine moralisch richtige Entscheidung zu treffen. Das ist absurd. Dann würde man ja nie wichtige Grenzen überschreiten, um daraus wichtige und ebenso unwichtige Erkenntnisse ableiten zu können. Das Leben entlang dem guten Gewissen könnte ein Leben in der totalen Langeweile sein. Ein Leben ohne Mut, ohne Risiko. Und das schlimmste, ein Leben ohne Fehler. Vor allem die wichtigen großen. Das alles würde mir wirklich sehr fehlen.
Also, ich kann vieles mit meinem Gewissen absichtlich nicht vereinbaren. Aber ich komme immer wieder auf den mir so wichtigen Weg zurück. Können Sie das mit Ihrem guten Geschmack vereinbaren? Ist ebenso irritierend. Man muss sich doch mal ebenso schlechtes wie überragendes zugefügt haben, um überhaupt einen eigenen Geschmack entwickeln zu können. Alles entwickelt sich doch erst im Laufe eines Lebens - die Überzeugungen, die Meinungen, die Einstellungen. Einfach alles ist einer Entwicklung unterworfen. Wie soll ich also von Anfang an wissen, ob mein Gewissen denn Recht hat oder Unrecht.
Gewissenhaft wird man doch erst mit einem bestimmten Alter. Leider. Das ist der Moment, in dem das letzte Momentum Kind sich aus einem Körper verabschiedet. Traurig. Sehr traurig. Ich hoffe, ich bleibe bis zum Schluss ein gutes Stück weit gewissenlos.
kommentare