Mittwoch, 4. Juni 2008
Nächste Runde
Das Leben hat was von einem Boxkampf. Die gute Nachricht, wenn es gut läuft mit ca. 90 Runden, die schlechte, man bekommt bis zum Schluss was auf die Mütze. Dieses ständige Austeilen und Einstecken in allen Varianten. Die überraschenden Treffer und die geglückten Ausweichmanöver, Gegenangriffe, Konter. Alles das kommt mir manchmal vor wie bei einem Boxkampf.
Eigentlich ist die Grundlage des Boxens nicht das Niederschlagen, sondern das nicht getroffen werden. Die Verteidigung ist die solideste Grundlage auch auf dem Lebensweg. Und das Einstecken können. Und das immer wieder Aufstehen wollen.
Der Gegner ist nicht immer derselbe, sondern es sind eine Vielzahl bis sehr viele. Aber sie versuchen immer dieselben Stellen zu treffen. Da, wo die vermeintlichen Schwächen sitzen oder da, wo man eine Stelle aus fehlender Aufmerksamkeit anbietet.
Wichtig ist auch, wer in meiner Ringecke steht und welche Absichten sie verfolgen. Ob sie an einen glauben oder besser noch von einem überzeugt sind. Es ist okay, immer im Ring zu stehen. Aber man muss vor allem wissen, wofür man da steht, einsteckt und austeilt, ausweicht und angreift.
Es gibt im wirklichen Leben leider nicht die Regelung mit den Gewichtsklassen. So kann es einem passieren, dass einem ein Übergewicht gegenüber steht. Die Ringpausen sind auch wichtig. Vieles von dem, was sich im Ring und drumherum abspielt, kommt mir oftmals vor wie im wirklichen Leben.
Die schmerzlichen Erfahrungen und die freudigen bis euphorischen. Das Lernen aus Niederlagen, aber die wichtigen Kämpfe auf keinen Fall zu verlieren. Der Wunsch, die Handschuhe an den Nagel zu hängen, aber es nicht tun zu können, weil damit ein Lebensabschnitt beendet ist. Falsche Freunde. Falscher Ehrgeiz. Falsche Taktik. Das ganze Falsche auf der einen Seite. Aber dann die richtigen Freunde, der richtige Ehrgeiz, die richtige Taktik auf der anderen Seite. Und beide voneinander unterscheiden lernen.
Das Falsche für einen selbst erkennen lernen. Wie das Richtige für einen selbst zu entdecken. Seinen Stil zu finden in seiner Gewichtsklasse. Über die Runden kommen. Ein Boxkampf ist das ganze Leben im Zeitraffer. Im übertragenen Sinne natürlich nur. Vielleicht mag ich das Boxen deshalb, weil hinter dem vordergründigen „Schlagen“ das Tiefgründige über die Runden kommen steht – in Würde. Beim Boxen kann man die Haltung eines Menschen sehen. Jeder. Man kann sich nicht verstecken.
Trotz aller Schieberei, welche die eigentliche Idee vom Boxen als Metapher ad absurdum führt. Aber auch das passt zu unserer Welt. Da gibt es welche, die werden in den Ring gestellt und dürfen gewinnen. Und andere müssen verlieren. Somit schließt sich der Kreis aus Gier und Neid auch beim Boxen.
Ich selbst habe nie geboxt. Weil ich nur das Boxen erlernen wollte, aber auf keinen Fall in den Ring steigen. Die Kunst der Verteidigung hat mich viel mehr angesprochen, als andere niederzustrecken. Wenn es irgendwie ging, bin ich jeder gewaltsamen Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen. Auch das ist ein Spiegelbild meines Lebens. Ich steige nicht in einen Ring, um andere zu besiegen. Der Kampf interessiert mich nicht. Darum bin ich diesen Ringseilen bei der Arbeit und auch im Privaten immer so gut es ging ausgewichen.
Es gibt genug, die sich mit aller Gewalt und allen anderen Mitteln, ob erlaubt oder nicht, durchboxen. In solchen Ringen und Ringschlachten wäre ich sicher der falsche Mann am Platz. Ich bin eher der Typ, der ein Leben lang um den Sandsack tänzelt, die Beinarbeit verbessert, die Kondition und Beweglichkeit trainiert. Nicht um zu boxen, sondern nur um zu wissen, dass ich boxen könnte, wenn ich wollte, aber ich will nicht.
Mein Wunsch nach Harmonie und Gemeinschaft geht dann doch ein Stück zu weit, als dass ich bereit wäre, mein täglich Brot damit zu verdienen, Tiefschläge einzustecken und nicht zu wissen, ob ich überhaupt gewinnen darf. Die Interessen der anderen könnten immer wieder gegen meine verlaufen. Somit habe ich meine Boxhandschuhe für die großen und unwichtigen Kämpfe schon früh an den Nagel gehängt. Und ich erlebe mit, wie andere darunter leiden, daran kaputt gehen. Jeden Tag in diesen Ring der großen Ungerechtigkeit zu steigen. Jeden Tag die Marionette eines Promotors zu sein.
Es sind schon besondere Menschen, die das aushalten und sich in einer solchen Welt behaupten können, wollen, sollen und dürfen. Besonders ....
Foto: Nicole Kengyel
Geschrieben von Christof Hintze
in Gleichgesinnte
um
07:51
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