Dienstag, 19. Oktober 2004
Brief an das Spiel
Es ist mir das erste Mal im Urlaub begegnet. Ich war
gerade 9 Jahr jung. Wir waren in Südfrankreich, am
Atlantik, Vieux Beaucoup. Da spielten Männer, alte
Männer, ein Spiel namens Boul. Die Faszination ergriff
mich sofort. Das will ich auch spielen. Aber wenig kleine
Jungens spielten auf dem Boulplatz. Alles waren alte
Männer. Einer war so alt, dass er die Kugeln nicht
mehr aufheben konnte, deshalb hatte er einen
Magneten an einer Schnur, mit dem er die Kugeln
wieder aufheben konnte. Das Spiel ist einfach.
Man muss seine Kugeln näher an das Schweinchen
bringen (die kleine Holzkugel), als andere Mit-
spieler. So bekommt man Punkte, die man sammelt, und
wer zuerst 13 hat, hat gewonnen.
Der alte Mann hieß Pepe und mir fiel auf, dass er
ein paar Brocken Deutsch konnte. So stieß er beim
Vorbeigehen an uns immer wieder lächelnd Worte aus
wie: Jawohl! Das gefiel uns, weil es ihm zu gefallen
schien. Denn das wir Deutsch waren, war
nicht zu überhören und zu übersehen. Aber ich hielt
länger aus am Boulplatz als die Touristen, die nur mal ein
Foto machten, einige Minuten Aufmerksamkeit heuchelten
Und dann wieder des Weges gingen. Ich war auch am
nächsten Tag wieder da. Und an dem, der darauf folgte.
Meine Eltern fanden das gut, denn sie wussten, wo ich war.
So stand ich in der glühenden und gleißenden Sonne des
Südens. Und schaute fasziniert zu, wie Pepe Boul
spielte. Dabei unternahm ich jeden Blickkontakt, der
mir geschenkt wurde. Alles wurde beobachtet, verarbeitet
und gespeichert. Auch eine Tätowierung auf dem Unter-
arm. Es war keine richtige, sondern es war eine
Reihe von Zahlen, die mir meine Eltern dann später,
am gleichen Abend, erklärten. Es war die Nummer eines
Häftlings aus einem KZ. Die Botschaft wurde immer
komplexer und furchtbarer. Weil Deutsche darin
eine sehr unrühmliche, geradezu schreckliche Rolle
spielten. Das nahm mir den Mut, weiterhin alles zu
versuchen, die Nähe dieses alten Mannes zu gewinnen.
Bis eines Abends seine Frau ihn wieder abholte und
mich ansprach. Auf deutsch. Ich war wie gelähmt.
Ab dann verlief der Rest des Urlaubs wie im
Traum. Plötzlich war Pepe da, er reichte mir 30
Boulkugeln. Ich durfte mitspielen, wurde zum Essen
eingeladen und war plötzlich ein Teil des Spiels.
Ich war 9 Jahre und noch heute ist das Spiel ein Teil
von mir und somit auch Pepe, der zwei Jahre später
starb. Ein Glück nicht im KZ, sondern nach einem Spiel
Boul. Vielen Dank, lieber Gott.
19. Oktober 2004
gerade 9 Jahr jung. Wir waren in Südfrankreich, am
Atlantik, Vieux Beaucoup. Da spielten Männer, alte
Männer, ein Spiel namens Boul. Die Faszination ergriff
mich sofort. Das will ich auch spielen. Aber wenig kleine
Jungens spielten auf dem Boulplatz. Alles waren alte
Männer. Einer war so alt, dass er die Kugeln nicht
mehr aufheben konnte, deshalb hatte er einen
Magneten an einer Schnur, mit dem er die Kugeln
wieder aufheben konnte. Das Spiel ist einfach.
Man muss seine Kugeln näher an das Schweinchen
bringen (die kleine Holzkugel), als andere Mit-
spieler. So bekommt man Punkte, die man sammelt, und
wer zuerst 13 hat, hat gewonnen.
Der alte Mann hieß Pepe und mir fiel auf, dass er
ein paar Brocken Deutsch konnte. So stieß er beim
Vorbeigehen an uns immer wieder lächelnd Worte aus
wie: Jawohl! Das gefiel uns, weil es ihm zu gefallen
schien. Denn das wir Deutsch waren, war
nicht zu überhören und zu übersehen. Aber ich hielt
länger aus am Boulplatz als die Touristen, die nur mal ein
Foto machten, einige Minuten Aufmerksamkeit heuchelten
Und dann wieder des Weges gingen. Ich war auch am
nächsten Tag wieder da. Und an dem, der darauf folgte.
Meine Eltern fanden das gut, denn sie wussten, wo ich war.
So stand ich in der glühenden und gleißenden Sonne des
Südens. Und schaute fasziniert zu, wie Pepe Boul
spielte. Dabei unternahm ich jeden Blickkontakt, der
mir geschenkt wurde. Alles wurde beobachtet, verarbeitet
und gespeichert. Auch eine Tätowierung auf dem Unter-
arm. Es war keine richtige, sondern es war eine
Reihe von Zahlen, die mir meine Eltern dann später,
am gleichen Abend, erklärten. Es war die Nummer eines
Häftlings aus einem KZ. Die Botschaft wurde immer
komplexer und furchtbarer. Weil Deutsche darin
eine sehr unrühmliche, geradezu schreckliche Rolle
spielten. Das nahm mir den Mut, weiterhin alles zu
versuchen, die Nähe dieses alten Mannes zu gewinnen.
Bis eines Abends seine Frau ihn wieder abholte und
mich ansprach. Auf deutsch. Ich war wie gelähmt.
Ab dann verlief der Rest des Urlaubs wie im
Traum. Plötzlich war Pepe da, er reichte mir 30
Boulkugeln. Ich durfte mitspielen, wurde zum Essen
eingeladen und war plötzlich ein Teil des Spiels.
Ich war 9 Jahre und noch heute ist das Spiel ein Teil
von mir und somit auch Pepe, der zwei Jahre später
starb. Ein Glück nicht im KZ, sondern nach einem Spiel
Boul. Vielen Dank, lieber Gott.
19. Oktober 2004
Geschrieben von Christof Hintze
in Wortkunst
um
14:00
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