Freitag, 25. April 2008
Der Goldfisch
Im Garten befindet sich ein Teich. Kein Grund zum Neid, es ist ein kleiner. Gerade groß genug, dass man ihn guten Gewissens als Teich bezeichnen kann. Umringt von der Natur, wenig bis gar nicht gepflegt, sich selbst überlassen, hat es sich der Teich den natürlichen Umständen entsprechend schön gemacht.
Der Wasserstand ist mal bis zum Rand, aber auch schon mal bedenklich tief. Im Winter gefriert der Teich, so dass das Eis bis zum Boden reicht. Er ist voller Blätter und allem, was sonst noch so Hals über Kopf in ihn fiel. Einige größere Steine liegen auf seinem Grund. Und auch dies und das, was da nicht so richtig reingehört. Ein Sammelbecken eben.
Er scheint aber kerngesund. Denn in ihm schwimmt, man kann es kaum glauben, wenn man es nicht mit seinen eigenen Augen gesehen hat, ein Goldfisch. Es ist sein Teich. Das wird einem klar, wenn man ihn so beobachtet, denn er ist das größte Lebewesen weit und breit und sicher auch der Teichälteste. Er ist allein - als Fisch. Er macht dabei aber keinen gelangweilten oder depressiven Eindruck, soweit ich das beurteilen kann.
Dieser Eindruck ist aber auch mehr von meinem tiefen Wunsch geprägt, dass er sich hoffentlich pudelwohl fühlt in seinem Teich. Man will ja nicht auch noch ein schlechtes Gewissen haben wegen eines einzigen Goldfischs. Obwohl ich nicht ganz unschuldig an der misslichen Lage seines Singledaseins bin. Aber die Geschichte ist zu traurig, als dass ich sie hier kundtue. Eine schwarze Minute in meinem Leben. Ich habe ihn wirklich nicht gesehen, den Anderen - wirklich. Es bricht mir noch heute das Herz, seinen besten Freund auf dem Gewissen zu haben.
Jahre lebt er schon hier. So zieht er seine Bahnen und Kreise. Mir scheint es ein ganz besonderer Kerl. Denn jedes Jahr gehe ich mit absoluter Sicherheit davon aus, dass er diesen Winter nicht überlebt hat. Denn er verschwindet, wenn es ihm zu kalt wird. Er zieht nicht in den Süden. Und er wechselt auch nicht sein Revier gegen ein wohltemperiertes Aquarium. Er buddelt sich ein. Er macht sich ein Bett unter Blättern tief im Morast.
Dann ist er weg und ward nicht mehr gesehen, über Monate hinweg. Und wenn wir alle überzeugt sind, dass er in die ewigen Jagdgründe gewechselt hat, das Zeitliche gesegnet hat, und wir sinnierend vorm Teich stehen und rekapitulieren, wie hart der Winter ja auch war und wie lang und wie alt er wohl gewesen sei, steinalt sicher, dann passiert wieder das Wunder vom Teich am Haus Hagebutt.
Plötzlich eines Morgens ist er da und schwimmt umher, als ob nichts gewesen wäre. Erwacht aus seinem Winterschlaf, hat er es mal wieder geschafft. Unglaublich, aber wahr. Da schwimmt er. Und er scheint sogar ein Stück gewachsen. Das glauben wir jedes Jahr und zwar in einem Maße, dass er eigentlich schon die Ausmaße eines Delphins haben müsste.
Es liegt sicher an unserer Freude, dass der Herr des Teichs wieder seinen Thron eingenommen hat. Stolz zeigen wir ihn jedem, der ihn auch eventuell nicht sehen will. Es ist ein Wunder für uns. Denn letztes Jahr wollten wir seiner Einsamkeit ein geselliges Ende bereiten und wir kauften vier Goldfische für jeweils knapp unter 2 €. Ließen uns erklären, wie man diese im Teich aussetzt, damit auch alles seinen glücklichen Verlauf nimmt.
Weit gefehlt. Diese verwöhnten Goldjungs haben bei den ersten kleinen klimatischen Veränderungen gleich die Lebensgeister verlassen. So schwammen sie einer nach dem anderen nur noch auf dem Rücken. Verzogen. Verwöhnt. Domestiziert. Nicht fähig, allein zu überleben. Und unser Goldfisch ist so eine Art Bruce Willis wie in Stirb niemals Teil 3. Eventuell war er sogar genervt von diesen Weicheiern. Sicher haben die tagein tagaus gejammert. Oh, ist das kalt hier. Oh, ist das dunkel hier. Oh, das mag ich nicht essen. Oh, ist das aber dreckig und unaufgeräumt hier.
Die waren auf das harte Leben in der freien Wildnis ungenügend bis unzureichend vorbereitet. Manchmal denke ich, ob er die Jungs kurze Flosse um die Ecke gebracht hat, damit wieder Ruhe einkehrt und das Gejammer aufhört. Zuzutrauen wäre es ihm. Wer in einer solchen Umwelt Jahr für Jahr überlebt, dem ist alles zuzutrauen.
Jedenfalls ist der kleine große Goldfisch zu einem echten Familienmitglied geworden. Und zu einem Vorbild. Er steht für das weitermachen, durchhalten und durchsetzen. Nicht jammern, machen. Mach das Beste daraus. Er ist der wirklich harte Kerl in unserer Runde. Und wenn ich mal wieder zweifle, dann denke ich an den Goldfisch. Den einen, der seiner Umwelt einfach trotzt. Der einfach nicht klein- und nicht unterzukriegen ist. Ein toller Kerl.
Leider kein Goldfisch Foto von Peter von Felbert