Donnerstag, 18. Januar 2007
Die Selbstverständlichkeitsfalle
Die meisten Beziehungen scheitern unter anderem daran, dass man in die Selbstverständlichkeitsfalle getappt ist. Das ergeht Menschen wie Marken ebenso. Es kommt immer der Zeitpunkt, an dem man denkt, dass man einen guten Stück des Weges schon hinter sich hat. Alles Zurückliegende ist somit in der Schublade "Selbstverständlichkeit" abgelegt. Warum soll man einem Freund ständig die Freundschaft beteuern? Seiner Frau fortwährend die Liebe? Und seinem Kunden die Aufmerksamkeit? Wenn man doch sicher davon ausgeht, dass das Objekt der Begierde das als selbstverständlich verbucht hat. Einmal ausgesprochen bedarf es doch keiner Wiederholung. Fehler! Großer, teurer, schmerzhafter und dummer Fehler. Denn wer in diese Selbstverständlichkeitsfalle tritt, beschreitet den Anfang vom Ende. Denn genau hier, exakt an dieser Stelle, ist Wiederholung, Bestätigung, Respekt und Anerkennung das wichtigste Instrument, um das hohe Niveau, das man gemeinsam einmal erreicht hat, überhaupt aufrecht zu halten. Wer das Niveau halten oder sogar steigern will, der muss sich der Kunst der Überraschung widmen. Dasselbe immer wieder überraschend auf eine andere Weise zum überzeugenden Ausdruck bringen. Und dabei meine ich nicht diesen Erika-Berger-Blödsinn, nur die gegenseitigen Reize fortwährend anzuheizen. Sondern mein Ansatz basiert auf dem rein Geistigen. Niemand wechselt seinen besten Freund, weil der andere einen schnelleren Prozessor hat. Niemand verläßt seine/n Partner/rin, nur weil er/sie Lachfalten bekommt. Und niemand wechselt eine Marke, weil eine anderer billiger ist. Niemand. Aber die meisten verführen oder lassen sich von allem verführen, was da kommt. Der Neukunde ist immer noch wichtiger, reizvoller und geiler als der Bestandskunde. Den hat man ja schon. Somit rennt eine ganze Gesellschaft unaufhörlich durch dieselbe Drehtür, in der vorne Neukunden reinströmen und hinter Bestandskunden sich verabschieden. Und was fällt der Wirtschaft dazu ein? Sie vergrößert die Drehtüren und die Drehgeschwindigkeit, damit noch schneller noch mehr Neukunden vorne rein kommen. Mit dem Ergebnis, dass hinten noch mehr noch schneller die Bestandskunden sich verflüchtigen können. Schön. Schön blöd.
(Foto: Peter von Felbert, Motiv: Kratzbürsten)