Mittwoch, 16. August 2006
The Wall
Der Mauerfall. 9. November 1989. Es ist früher Abend. Mein Vater ruft mich an und sagt am Telefon: Die machen die Mauer auf. In meiner Familie weiß jeder sofort, was damit gemeint ist. Meine Eltern sind mit drei Kindern 1961 aus der DDR geflohen. Haben von Ost- nach West-Berlin rüber gemacht. Nur mit dem, was sie am Körper hatten und in einem Koffer.
Diese Mauer hat unsere Familie getrennt. Das erste Mal durften meine Eltern und wir Anfang der 70er Jahre rüber. Meine Oma durfte uns ab und zu besuchen. Die Mauer ist schuld, dass ich keine Verwandschaft habe. Keine Verbindung zu Omas, Opas und allen anderen. Die Mauer ist an vielem schuld. Sie hat das Leben meiner Eltern, meiner Geschwister und meins negativ beeinflusst. Jedes Jahr sind wir rüber, haben alles versteckt, wo und wie es ging. Haben diese schrecklichen Schikanen wieder und wieder über uns ergehen lassen.
Die Welt da drüben war, so als ob man denen wesentliche Elemente vorenthalten würde. Elemente, die vieles im Westen erst möglich machen würden. Ganze Farben und Gerüche fehlten. Bücher, Schallplatten, Fernsehen, Radio, Klamotten bis hin zur Schokolade und zum Kaffee. Feste Elemente meines Lebens fehlten hier. Die gab es nicht oder man durfte sie nicht haben.
Ich fand das verrückt. Und dann war da noch mein Onkel, der nur zwei Jahre älter war als ich. Aus zweiter Ehe meines Opas, der hieß genauso wie ich. Wir haben uns dann immer unsere Pässe angesehen. Und uns vorgestellt, wie es wäre auf der anderen Seite. Ich kam mir immer überlegen vor. Ich dachte immer, wir sind besser und bei uns ist alles besser. Weil die sich auch so verhalten haben. Besuch aus dem Westen.
Meine DDR Geschichte ist lang. Jedenfalls sagt er am Telefon: Du, die Mauer ist offen. Ich habe aufgelegt. Den Fernseher angemacht, und da kletterten Menschen auf die Mauer. Und Trabbies fuhren über die Grenze und die Menschen gingen über die Grenze. Massen von Menschen gingen zu Fuß einfach von Ost- nach Westberlin. In dem Moment, wenn ich diese Zeilen schreibe, schießen mir wieder die Tränen in die Augen. Es ist nach der Geburt meiner Kinder der ergreifendste Moment in meinem Leben. Obwohl – einer ist da noch. Als Genscher in Prag auf dem Balkon steht und den Tausenden in der Prager Botschaft verkündet, dass die Ausreise genehmigt ist. Gott, habe ich da geheult.
Der Fall der Mauer ist ein wichtiger Meilenstein in meinem Leben. Bis dahin habe ich an die Unüberwindbarkeit von Mauern gedacht. Alle Arten von Mauer, bis in die Köpfe. Doch nun wusste ich, dass jede Mauer fallen kann. Schade nur, dass meine Familie aus den neuen Ländern und ich sich bisher nicht näher kommen konnten. Die Trennung und die Entfernung war dann doch zu lang. Obwohl ich neidisch bin auf solche intakten Familien, wie man sie hier in Bayern oft antrifft. Alle Tanten, Onkel, Omas, Neffen usw. alle im Umkreis von ein paar Kilometern. Aber daran ist diese verdammte Mauer schuld. Sie hat meine Generation auf immer getrennt.
Um mit Willy Brand zu enden. Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört. Aber es wächst langsam. Sehr langsam. Das wollte keiner hören. Aber mit dem Blick zurück, auf nunmehr 17 Jahre, kann ich behaupten: Bis etwas wieder zusammen wächst, dauert offensichtlich genau die Zeit, die es getrennt war. Also 28 Jahre. Das sind jetzt noch 11 Jahre. Obwohl man nicht weiß, ab welcher Trennung man rechnen muss. Eventuell auch ab der Besatzung von 1945, dass würde bedeuten: Nicht 11 Jahre, sondern noch 27 Jahre. Nach der Stimmung zu urteilen, könnte das eher stimmen. Oder muss man die Zeit der Nazis mit einberechnen?
Geschrieben von Christof Hintze
in 02 . Blickwinkel
um
07:04
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