Montag, 26. Oktober 2009
In Vitrinen
Ich stell mir das so vor: Eine Eingangshalle, riesig wie ein Bahnhof. Die zeitlose Architektur einer mehrere Jahrhunderte alten Tradition. Herren im guten Anzug, Damen im eleganten Kostüm. Dezenz, wohin man sieht. In den Wänden aus edlem Holz sind Vitrinen eingelassen - große, geräumige Schaukästen mit Sicherheitsglas verschlossen, von unauffällig bewaffnetem Wachpersonal gesichert. Die Vitrinen sind aufwändig illuminiert, darin stehen samtbeschlagene Podeste, auf denen die hochwertvollen Ausstellungsstücke ruhen, deren Präsentation die ganze Einrichtung dient. Es sind Wörter.
Wörter von unsagbarem Wert, Wörter von tiefer und tief dringender Bedeutung, Wörter von Distinktion und Abstand, die nur selten und nur für ausgesuchte Gelegenheiten verwendet werden. Der Raum ist erfüllt vom Duft frischer Luft, eine vornehme Kühle bestimmt die Atmosphäre. Es ist ein einzigartiges Flair des Selbstbewusstseins aus unzählbaren Erlebnissen eigener Überlegenheit, die durch die zweckbestimmt diensame Nützlichkeitsdemut des Ortes nur noch überhöht wird. Leise klassische Musik perlt von den Wänden und übertönt die unglaublichen Summen, die hier genannt werden, wenn ein Kunde bittet, eines dieser Wörter einmal probehalber in den Mund nehmen zu dürfen. Die Preise sind so hoch, dass nur wenige Kunden auf der ganzen Welt in der Lage sind, sich diese Art der Kommunikation zu leisten. Dabei geht es nicht nur um Geld. Es geht auch um die Fähigkeit, Aussagen aus ihrer plapperhaften Beliebigkeit zu befreien und mit der Bedeutung konsequenten Handelns erfüllen zu können. Nur wenige Unternehmen sind es, die dazu in der Lage sind. Manche mögen bei genauer Bilanz ihrer Ressourcen vielleicht noch die finanzielle Bemitteltheit zusammen kratzen. Doch sie scheitern erbärmlich, wenn es darum geht, die Kraft ihrer Führung für eine gezielte Steuerung ihres Unternehmens und die Befähigung ihrer Mitarbeiter zu einer einheitlichen Haltung aufzubringen. Dieses Fach ihrer Börse ist leer. Beschämt rücken sie ab, wenn sie ihre Nichtswürdigkeit erkennen. Nur auf Empfehlung wurden sie hier eingelassen. Um nun feststellen zu müssen, dass sie bereits tot sind und ihnen nur eines bleibt: Reste des aus der ruhmhaften Vergangenheit gerissenen Kapitals oder aus der schon vor dem absehbaren Absterben noch rasch verteilten Erbschaft zu konsumieren. Heimlich, damit es niemand sieht, werden sie sich noch wenige Jahre mit Werten mästen, die ihnen nicht gehören, denn bald wird nichts mehr sein, wovon sie zehren können.
Geld zählt hier nichts. Auch wenn es Millionen und Milliarden sind, die hier für ein gutes Wort bezahlt werden, ist das nur ein winziger Bruchteil der durch konsequent gelebte Bedeutung erreichten Gewinne.
So stelle ich mir das Nirwana der Werbung vor.