Dienstag, 27. Februar 2007
Widerspruch
Oft sind wir mehr oder weniger verwundert, wenn wir in eine Materie eindringen, was wir alles antreffen. Dasselbe gilt auch für Menschen. Da läuft man Jahre aneinander vorbei. Hat sich längst ein Urteil gefällt. Und dann stellt sich alles ganz anders dar. Ich kann getrost von mir behaupten, dass ich grundsätzlich davon ausgehe, dass alle anderen Menschen eigentlich Arschlöcher sind. Klingt dumm, ist es auch.
Aber das ist so eine Mechanik, die man sich angewöhnt, wenn man zu faul ist, neue Menschen kennenzulernen. Denn von der Position aus, die sind bestimmt blöd, kann man beruhigt auf seinem Platz verharren, in Ruhe seine Zeitung weiter lesen und seinen Wein allein und in Ruhe trinken. Bemerke, zweimal Ruhe in einem Satz. Man muss sich nicht die ganzen langweiligen Lebensgeschichten anhören und die noch langweiligeren Lebensweisheiten, Lebensentwürfe und was am allerschlimmsten ist: die allerlangweiligsten Lebensratschläge.
Das ist bequem. Sehr bequem. Das ist so, als ob man keine Lust auf Reisen hat, und jeden negativen Aspekt so lange hervor holt, bis dem Partner auch die Lust vergangen ist. Das wirklich Dumme an dieser Faulheit und Einstellung ist: Man lernt nichts aus dem Blickwinkel anderer Menschen. Weil man nur seine eigenen sieht oder die der wenigen, die man schon kennt. Mit jedem anderen Blickwinkel gesellen sich unglaubliche viele Erkenntnisse hinzu. Wird Unbekanntes zu Neuem. Von den Sichtweisen anderer kann man unendlich viel profitieren.
Darum quatsche ich alle Menschen voll. Auch Arschlöcher. Ziehe sie in Gespräche rein, die sie selbst nicht wirklich wollen. Ich verzehre mich nach anderen Sichtweisen. Wenn ich mal Lust habe. Denn nur aus meiner Sicht die Dinge zu betrachten, erscheint mir nicht nur einsilbig und eintönig, sondern vor allem auch noch einfältig. Das entscheidende bei der Zusammenkunft ist, dass man von jeder was für sich ziehen kann. Ob vom Metzger oder Friseur, von der Politesse, vom Finanzbeamten, Taxifahrer und so weiter. Es sind nicht die vermeintlich wichtigen Menschen, die berühmten oder reichen, von denen man zehren kann. Nein, es sind primär die die kleinen Geschichten.
Man kann 2.000 mal Sabine Christansen sehen und bleibt ohne eine einzige Erkenntnis. Aber von einem Taxifahrer, der seit 50 Jahren Taxi fährt. Und dessen Taxi 860.000 km auf dem Buckel hat, erfährt man in 20 Minuten mehr. Viel mehr. Es ist egal, was das für Menschen sind, ob man die nur einmal in seinem Leben trifft, oder mehrmals. Wer nicht die Geschichten aus den Menschen zieht, der vergibt sich was. Und zwar viel. So kann ich behaupten, dass ein nicht kleiner Teil meines Wissens, sagen wir mal 40%, aus den Geschichten anderer Menschen resultiert.
Die Kunst liegt nur darin, die richtigen Fragen zu stellen. Den Menschen die entscheidenden Geschichten zu entlocken. Es bringt nichts, den Taxifahrer nach dem Wetter zu fragen. Oder ob die Stadt schön ist. Sondern man muss sich den Menschen ansehen und ihm seine zentrale Geschichte entlocken. Das ist unglaublich. Denn wenn man diese Quelle einmal erreicht, dann sprudelt es nur so aus ihnen herraus. Aus den Menschen, die viele einfach nur für Arschlöcher halten. Was sie eventuell auch sind. Na und! Die Story eines Arschlochs kann viel interessanter sein als die eines anderen. Es geht um den Austausch. Den Transfer. Profitier von den Sichtweisen anderer. Der Aufwand ist minimal. Man sitzt ohnehin im Flugzeug, im Bus, in der Bahn, im Taxi, im Cafe. Also, frage ich mich meistens, was könnte seine Geschichte sein. Wenn ich Lust habe. Wenn nicht, dann denke ich mir einfach: Was für ein Arschloch ist das wohl? Denn ein ständig gespannter Bogen verliert an Treffsicherheit. Deshalb müssen die Geschichten manchmal in den Köpfen bleiben.
Freitag, 23. Februar 2007
Trennungsscherz
Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass Mülltrennung ähnlich überflüssig ist, wie jede andere Art der Trennung. Dahinter steckt ein ganz anderes Anliegen. Es soll uns etwas suggerieren, den Glauben an etwas bestärken. So wie die Sicherheitskontrolle an Flughäfen uns das sichere Gefühl geben soll, dass nichts passieren kann. Dafür wird uns gewaltsam die Zahnpastatube entwendet, das wertvolle Cybertool entsorgt und auch jegliche spitze Bemerkung muss man am Check-In zurücklassen. Somit fühlen wir uns sicher und glauben, der Staat tut alles, damit das Fliegen sicher ist. Dabei gehen Terroristen gänzlich anders vor. Aber das tut nichts zur Sache. So ähnlich ist es auch mit den vielen Trennungen. Paare trennen sich. Freunde trennen sich. Kunden trennen sich von Agenturen. Man trennt sich häufiger vom Wohnort. Sogar von der Steuernummer müssen wir uns trennen. Von der Telefonnummer trennen wir uns weitaus mehr als früher. Sogar von der Kontonummer wird sich immer mehr getrennt. Das war früher alles anders. Da steckte man alle Bemühungen in die Verbindung. Heute steckt man alle Kraft in die Trennung. Das geht so weit, dass man fast dazu verdammt ist, sich ständig von Dingen zu trennen. Wie auch E-mail-Adressen, Web-Adressen, Adressen, Handy-Nummern. Das alles macht man auch, um wieder einen Grund zu haben, ins Gespräch zu kommen. Das Trennen ist zu einem Trend aufgestiegen und das Verbinden wird in den Schatten gestellt. Ein Trend, den ich ähnlich blöd finde wie bordeauxfarbene Pullunder. Oder Strickkrawatten. Oder Schuhe mit Bömmeln drauf.
Somit wäre es an der Zeit, mal wieder das Verbindende in den Vordergrund zu stellen, als das Trennende mit aller Macht zu suchen. Verbinde dich doch. Oder bleib doch. Wir. Gemeinsam. Statt dem ständigen "Und tschüss!".
Donnerstag, 22. Februar 2007
It´s so easy
Mensch, alles könnte so einfach sein. Es wird eigentlich unglaublich verkompliziert durch die Gegenwart des Menschen an sich. Kein irdisches Geschöpf legt so intensiv Wert darauf, sich immer neuere, kompliziertere und ausweglosere Probleme selbst zu schaffen. Die bei genauer Betrachtung erbärmlich klein und schlecht konstruiert erscheinen. Und nicht mal das Prädikat Problem verdient haben. Wohin man schaut, blickt man in ernsthafte Gesichter. Denen die Unüberwindbarkeit von Problemen ins Gesicht geschrieben steht. Die aber eigentlich keine sind.
Deshalb werden auch immer schneller, immer veränderte und neue geschaffen. Es scheint eines der größten Bedürfnisse des Menschen zu sein, sich selbst als größter Gegner in Szene zu setzen. Und es kommt noch herrlicher. Dafür bedarf es nicht mal der Gegenwart anderer Menschen. Er hat es in der jetzigen Entwicklungsstufe geschafft, seine Problemwelten nur in seinem Kopf entstehen zu lassen. Was fortlaufend dazu führt, dass ihn und seine Befürchtungen niemand mehr nachvollziehen kann. Weil sie ausschließlich aus Hirngespinsten bestehen.
Die nächste Entwicklungsstufe wäre, dass diese Hirngespinste sich verselbstständigen und zu ganz absurden Problemlösungen führen. Wie Platzangstfreiefahrstühle: Diese sind circa 400 qm groß und haben 3 Meter Raumhöhe und fahren so langsam von Stockwerk zu Stockwerk, dass man die Bewegung selbst nicht nachvollziehen kann. Oder es gibt Flugzeuge, in denen man virtuell so berieselt wird, dass man nie das Gefühl hat, die Maschine hätte abgehoben. Oder Essstörungen. Es gibt Restaurants, bei denen es getrennte Tische gibt für Esssüchtige und Magersüchtige. Somit stehen für unsere unwirklichen Probleme ganz neue Branchen und Produkte ins Haus.
Burn Out Produkte werden florieren. Tinnitus Sets an allen Ecken. Medikamente gegen alles Mögliche: Schlechtes Gefühl, üble Vorahnung, einen super Tag, ich bin toll Tabletten. Auch auf Haarwaschmittel wird sich das ausbreiten, für lustiges Haar, für aufstrebendes Haar, für schreckhaftes Haar, für zuversichtliches Haar. Keine Branche wird letztendlich verschont bleiben. Nach der Öko-Welle rollt die Psychowelle über unsere Märke hinweg. Schuhe mit besonderer Standfestigkeit im Leben wären auch schön. Jacketts mit verstärktem Rückgrat. Brillen für mehr Überblick.
Ihr glaubt mir nicht? Lest diesen Text in 10 Jahren noch mal. Und dann werdet ihr einen Berg, eine Straße und ein großes Problem nach mir benennen: Die Hintzophrenie. Das sind unheilbar und unbelehrbar positive Menschen mit einer fast anmaßenden Zuversicht, die völlig ignorant gegenüber Riskovermutungen sind. Resistent gegenüber Bedenken. Und sich kategorisch weigern, der Gefahr ins Auge zu blicken. Das Schlimmste: Die immer sagen, was sie gerade denken. Sofort und unmissverständlich. Und dabei nicht mal den Anspruch auf Richtigkeit erheben, sondern sich ausschließlich auf die eigene Meinung beziehen und berufen. Wie gesagt, in einer Welt voller selbst gemachter Ängste, eine sehr schlimme und unerträgliche Erscheinung. Denn Hintzophrenie geht konstant, konsequent und mit viel Humor auf den ganzen negativen Scheiß einfach nicht ein. Unmöglich!
Mittwoch, 21. Februar 2007
Schönheit
Vielleicht ist Schönheit nur ein Gefühl. Wie Glück. Es breitet sich in uns warm, wohlig und langsam aus, wenn wir ihm begegnen. Ein so überwältigendes Gefühl, dass wir es, wie Glück, institutionalisieren wollen. Wir wollen das Glück und die Schönheit erzwingen. Wie die Liebe. Anstatt dem Gefühl zu folgen, produzieren wir falsche Schönheit. Wie wir auch falsches Glück und ebenso falsche Liebe produzieren. Das Lebensglück ist nun mal nicht so einfach mach- und planbar. Das Geld hat nicht das Glück im Rücksack. Sex ist nicht Liebe. Somit könnten wir wie immer und mal wieder einem großen Irrtum hinterher eifern. Und mal wieder und wie immer in die falsche Richtung. Denn wenn Schönheit ein individuelles Gefühl ist, was machen wir denn da den lieben langen Tag? Anstatt diesem Gefühl zu folgen, konstruieren wir Schönheit.
Was dazu führt, dass wir die wirkliche Schönheit nicht mehr erkennen. Wir verkleiden und verunstalten uns zunehmend, anstatt der wirklichen Schönheit intuitiv zu folgen. Ich komme immer wieder in die Situation, in der ich etwas erblicke, und mein Gefühl sagt mir: Mensch, ist das schön! In der Regel sind das Mondsicheln, Sonnenunter- und -aufgänge, Bachläufe, Blumenmeere, Seen, Flüsse und das Meer. Die Berge. Manchmal ist es ein leerer Raum. Oder Architektur, die mir Lebensqualität vermittelt. Schön ist dabei immer reduziert und natürlich. Man kann nichts mehr weglassen. Schönheit sind auch Momente, vollkommene. In denen einem die wunderbare Schönheit auch des menschlichen Wirkens bewusst wird. Ein Monet an der Wand, oder Bach erklingt aus den Lautsprechern. Miles Davis auf dem Kopfhörer. Design kann dieses Gefühl auch hervorrufen. Aber nie so intensiv wie die Schönheit der Natur.
Schönheit ist ein Gefühl, von dem man nicht genug bekommt, nach dem nur viele an den völlig falschen Stellen suchen. Oder dieser ebenso völlig absurd nacheifern. Peinlich und grotesk. Schönheit ist immer in uns und um uns herum und hat meistens nichts mit der Vermenschlichung von Schönheit zu tun. Wie Sicherheit und Freiheit und Liebe und Glück. Es sind die gefühlten Momente, in denen wir spüren, dass wir diese so wichtigen Begleiter auf dem Lebensweg an unserer Seite haben.
(Foto: Thomas Hintze; Motiv: Bordeaux ende 70er)
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