Mittwoch, 12. März 2008
Kulturverlust
Was Kultur ist, sein könnte oder sollte, das bleibt jedem selbst überlassen. Die Begegnung mit Kultur ist für mich aber immer wieder verbunden mit einer Überwindung. Denn man muss ihr begegnen. Man muss sich ihr stellen. Sich mit ihr auseinandersetzen. Überwinden. Begegnungen der kulturellen Art haben immer etwas mit Bewegung zu tun. Sich von seinem Standort und Standpunkt bewegen, davon weg bewegen, auf ihn zu bewegen.
Kultur ist auch immer eine Bestimmung der Orientierung. Wo bin ich? Wer bin ich? Was denke ich? Was will ich? Die Kultur beschreibt somit ein aussterbendes Verhaltensmuster. Denn die meisten Menschen wollen sich nicht bewegen. Geistig wie körperlich. Sie wollen nicht überwinden. Keinerlei Anstrengung soll ihnen im Laufe eines Tages begegnen.
Umso weniger Überwindung, umso besser. Das gilt für alle Lebenslagen, ob beim Essen oder im Gespräch. Die Kultur war und ist eine große Errungenschaft. Auch in Unternehmen mit einer hohen Unternehmenskultur. Da wurde sich begegnet, da wurde überwunden, erlebt.
Kultur hat sich vom Status zum Statussymbol gewandelt. Man umgibt sich mit Kultur, aber man begegnet ihr nicht wirklich. Man geht nicht auf sie ein. Man dringt nicht in die Materie vor. Kultur als Absicht. Man müsste mal.
Für mich war Kultur zeitlebens immer ein Stück Überwindung. Die mich immer mit Wohlgefühl belohnt hat, wenn man sich dazu durchgerungen hat. Es war oft zäh, unverständlich, anstrengend. Aber am Ende stand immer dieses wunderbar gute Gefühl.
Viele Menschen wollen das nicht mehr. Sie nehmen alles, wie es kommt, weichen der Begegnung aus. Das ist sehr schade, weil damit die so wichtige Kultur für jedermann stirbt. Denn jeder ist auf seinem Lebensweg ein Kulturschaffender. Der Kultur ausweichen, heißt sich selbst ausweichen, dem Leben ausweichen.
Kultur ist das wohl größte Privileg der Menschheit. Sie beschreibt auf allen Ebenen den Umgang mit allem und allen. Wer genügend oder viel Kultur in sich trägt, der verhält sich entsprechend. Wenn Kultur beim Einzelnen verloren geht, gehen ganze Kulturen verloren. Man muss eben was tun im Leben, um etwas zu erleben. Der Umgang miteinander gewinnt an Qualität, wenn Kultur mit im Spiel ist.
Mir fehlt es nicht an Kultur in unserem Lande. Sondern mir fehlt es an Menschen, welche bereit sind, dieser zu begegnen. Das birgt sogar eine Gefahr für die Demokratie. Menschen mit einem hohen Anspruch an Kultur pflegen Kultur, wo es nur geht.
Der Kulturverlust ist überall sichtbar. Spürbar. Dabei kann es jeder tun, jetzt. Eine kleine Überwindung genügt und das schöne Gefühl ist einem nachher sicher. Und man hat was erlebt. Man hat was zu erzählen. Etwas, worüber man nachdenken kann. Man kann es einordnen.
Kultur ist so wunderbar und vielseitig. Und geht so in die Tiefe. Wie oft erlebe ich im Geiste kulturelle Begegnungen. Das sind wunderbare fantasievolle Gedankenreisen mit Begegnungen, die sich im Laufe des Lebens von immer wieder anderen Seiten darstellen. Die Menschen wundern sich über den Zustand in unserer Gesellschaft auf allen Ebenen. Dabei liegt für mich die Antwort auf der Hand – Kultur.
Menschen mit Kultur entfernen sich nicht voneinander, sondern kommen sich näher. Das ist eine ganz andere Kultur. Eine, die ich oft und sehr vermisse. Nicht so sehr bei mir und in meinem Umfeld sondern genau dann, wenn ich dieses verlasse. Was mir da oft begegnet, macht mich traurig.