Das Schöne am menschlichen Fehlverhalten ist, dass man sich schon vorher ansehen kann, wie es nachher ausgehen wird. Denn alle Fehler sind oft schon älter und schon mal gemacht worden, nur an anderen Stellen als an denen, wo man gerade selbst ist. Dafür bedarf es nur der äußerst seltenen Fähigkeit der interdisziplinären, assoziativen, transzendentalen Wahrnehmung. Nehmen wir uns das Beispiel der Flüsse in der zivilisierten Welt. Der Mensch hat mal kurzer Hand das biologische Gleichgewicht mehr als durcheinander gebracht, in dem er die Fließgeschwindigkeit erhöht hat. Flussbetten begradigt. Auslaufzonen und Überlaufbecken gebaut. Dämme gebaut. Er hat Flüsse verschmutzt und sich deren ganze Naturlichkeit untertan machen wollen. Mit dem beeindruckenden Ergebnis, dass kein Leben mehr in den Flüssen war. Dass regelmäßig Hochwasser die Anwohner wegspülte. Mit den Flüssen flossen zunehmend tot bringende Katastrophen durchs Land. Der ehemalige Lebensspender hat sich durch den Eingriff des Menschen ins Gegenteil verkehrt. Nicht, dass der Mensch daraus gelernt hätte. Nein, er bekommt einfach zu oft nasse Füße und neuerdings steht das Wasser zu vielen bis zum Hals. Somit wird nun die 180 Grad Kehrtwende eingeläutet. Alles soll wieder wie früher werden. Fisches, sauberes Wasser, eine gesunde, klare, eine sprudelnde, fließende und frische Lebensader durch unser Dasein. Die wir gleichzeitig als Transportweg benutzen. Der Mensch muss also notgedrungen schwer zurück rudern. Diese Analogie läßt sich 1:1 auf viele Entwicklungen übertragen. Die Fließgeschwindigkeit ist gleichzusetzen mit unserer Entwicklungsgeschwindigkeit. Wir erhöhen an allen Ecken und Enden die Geschwindigkeiten und somit auch die Massen, die transportiert werden. Die Fluten dieser Konsumgesellschaft haben längst Opfer gekostet. Das Begradigen der Flussbetten ist das Mainstreamen des Angebots. Alles muss konsumfreundlicher werden. Alles muss schneller zu konsumieren sein. Immer mehr fließt immer schneller an uns vorüber. Die Hochwasser der Konsumgesellschaft spülen dann Tausende von Arbeitslose in die Arbeitsämter. Ganze Konzerne werden aus dem Land gespült. Immer mehr tote Geschäftsmodelle treiben mit den Konsumflüssen und so weiter und so weiter.
Somit kann sich jeder ansehen, wie es weiter geht. Und es gibt Anlass zur Hoffnung. Denn im Rhein schwimmen schon wieder Fische. Wenige, aber es werden mehr. Und viele Flüsse werden aufwendig wieder zurück in ihren natürlichen Verlauf entlassen. An vielen Stellen hat der Mensch angefangen, zu verstehen, dass man Naturgesetze nicht auf den Kopf stellen sollte. Aber noch mal: nicht weil wir schlauer sind. Sondern nur, weil wir nasse Füße bekommen. Deshalb stellt sich immer die Frage: Was sind die nassen Füße im übertragenen Sinne? Gibt es keine nasse Füße, gibt es keine Veränderung im Bewusstsein.
(Foto: Peter von Felbert, Motiv: Alpen)