Donnerstag, 29. März 2007
Das ist ganz einfach
Wer kennt das nicht? Man ist in einer fremden Stadt und muss zu einem bestimmten Ort. Offensichtlich ein bekannter Ort. In einer großen Stadt. Aber irgendwie findet man diesen Ort nicht so recht. So dass man sich genötigt fühlt, jemanden nach dem Weg zu fragen. Die ersten 3 möglichen Wegweiser waren nicht von hier. Somit konnten die einem beim besten Willen nicht weiterhelfen. Die nächsten 2 möglichen Wegweiser verstanden kein Wort. Somit wäre jede Ansage für die Katz. 3 weitere Einheimische waren so etwas von einheimisch, dass man außer witzig klingendem Dialekt auch nichts verstehen würde. Dann waren da noch 3 bis 4, die glaubten, eventuell, vielleicht den Weg zu kennen, mussten dann aber nach langem hin und her doch passen.
Und dann - Treffer. Er. Auf die Frage nach dem bekannten Ort in dieser großen Stadt entgegnet er ganz locker, mit einem verschmitzen Lächeln: Das ist ganz einfach. Was jetzt kommt, muss man wissen, ist natürlich genau das Gegenteil. Denn der Mann setzt Wissen voraus, dass es nicht gibt. Sonst müsste man ja nicht nach dem Weg fragen. So erklärt er nach seinem Wissensstand den Weg. Was dazu führen muss, dass die so einfache Erklärung immer komplizierter wird. Und komplizierter. Und noch komplizierter. Nach der achten Kreuzung bin ich geistig schon ausgestiegen. Nicke aber höflich, um einer Wiederholung bloß aus dem Weg zu gehen. Ich habe längst beschlossen, den 4 Kreuzungen zu folgen, denen ich folgen konnte und dann erneut zu fragen. Aber eines lernt man daraus: Setze nie Wissen voraus bei Deinem Gegenüber und beginne nie eine Antwort mit dem Satz: Das ist ganz einfach.
foto: peter von felbert
Montag, 5. März 2007
Kommmmmmunnnnnnikation
Ich habe gestottert. Bis zu meinem 16. Lebensjahr habe ich kaum einen Satz geradeaus über meine Lippen gebracht. Das war eine Qual. Eine unendliche Qual. Vor allem in der Schule. Wer stottert, den begleitet immer das Vorurteil, er hätte was am Kopf. Eine Form von Geistesstörung. Er wird gehänselt. Man lacht laut, oder noch schlimmer, hinter vorgehaltener Hand über Stotterer.
Die allerschlimmsten Sitationen haben einem die Lehrer beschert. Wenn sie mich unaufgefordert drangenommen haben. Zum Vorlesen. Beim Vorlesen ist der Stotterer hoffungslos verloren. Weil er die Buchstaben nicht austauschen kann. Stotterer haben Buchstaben, die gar nicht gehen. Die nicht über die Lippen gehen. Dann gibt es noch eine nicht geringe Zahl von schweren Buchstaben. Und der Rest geht so. Somit wählt der Stotterer immer am Anfang eines Satzes Buchstaben, die ihm einfach über die Lippen gehen. Das geht beim Vorlesen nicht. Da steht, was da steht. Das ist der totale Horror. Lehrer haben früher keine große Rücksicht auf diesen Defekt in der Sprachmotorik genommen. Darum habe ich mich oft nicht gemeldet, obwohl ich die Antwort wusste. Oder ich habe einfach gesagt, ich weiß es nicht, um der Antwort ausweichen zu können.
Es schmerzt junge Menschen, wenn pausenlos über sie gelacht wird. Ab irgend einem Zeitpunkt habe ich mich dann entschieden anzugreifen. Ich wollte nicht mehr schweigen. Es war mir egal. Mein Ziel war es, selbst das Stottern zu überwinden, in dem ich mich pausenlos dem Sprechen aussetze. Da mussten alle mit durch. Mir war es eagl, ob die Mitschüler lachten. Mir war es egal, wie quälend dieses Gestottere für meine Umwelt gewesen sein muss. Mein Leben sollte nicht durch das Stottern berschränkt bleiben. Somit habe ich mich pausenlos in den Pausen geprügelt. Jeder, der glaubte, auf meine Kosten Witze machen zu können, bekam eine Tracht Prügel.
Dann wurde ich auch noch Klassensprecher. Die Betonung liegt auf Sprecher. Dem war nicht genug. Nein, ich wurde auch noch stellvertretender Schulsprecher. In einer Schule mit über 2.800 Schülern. Das bedeutet 12 Klassen in jedem Jahrgang bis zur Zehnten. Und so ging es weiter. Mein Selbstbewusstsein habe ich mir erkämpft und erredet. Immer und immer wieder.
Irgendwann war es dann vorbei. Oder sagen wir mal, so gut wie vorbei. Den Zeitpunkt kann ich nicht genau benennen. Es war ein fließender Übergang vom Stotterer zum Sprecher. Aber die Qualen sind mir noch in schlechter Erinnerung. So sehr, dass bis heute diese Zeit mir einen Schatten der Minderwertigkeit vorauswirft. So wie es aussieht, bis an mein Lebensende. Denn ich kämpfe noch immer. Jeden Tag. Jetzt nur mit anderen Waffen. Ich kämpfe um gute Kommunikation. Weil es für mich mehr ist als ein Anliegen. Es ist mir ein Bedürfnis, dass Kommunikation funktioniert. Mein Handycap von damals ist dabei mein größter Trumpf. Es ist meine größte Stärke geworden. Vieles, was ich heute bin und kann, verdanke ich dem Stottern. Das ist doch verrückt.
Deshalb, genau deshalb, ist und bleibt mir so unendlich viel an der Kommunikation gelegen. Ein Stotterer entwickelt eben Fähigkeiten, die andere nicht haben. Das muss er. Ebenso wie andere es nicht müssen. Blinde teilen dasselbe Glück. Gehörlose und Stumme. Sie entwickeln Fähigkeiten auf Gebieten, die anderen für immer in der Intensität verschlossen bleiben. Das ist nur fair. Denn es ist ein Ausgleich für das eigentliche Handycap. Mit dieser Einstellung sollte man alle Menschen mit Handycap betrachten.
Freitag, 2. März 2007
Auf und nieder immer wieder
Das Leben soll bekanntlich eine Achterbahn sein. Das kann ich nicht ganz nachvollziehen, denn ich kann nicht Achterbahn fahren, mir wird schlecht. Nehmen wir diese Analogie trotzdem mal beim Schopf, dann zielt sie auf ein ständiges Auf und Nieder. Gut. Aha. Bei einer Achterbahn dreht sich das Leben nur ständig im selben Kreis. Somit kennt man die Auf und Nieder irgendwann, und sie entlocken einem nur noch ein müdes Lächeln.
Ich weiß nicht. Mein Motto lautet: Wenn Du denkst, es geht nicht mehr, dann kommt von irgendwo noch ein größerer Hammer her. Das Leben verläuft zudem alles andere als auf Schienen. Somit mag ich dieses Bild vom Leben nicht. Genauso wenig wie: Der Weg ist das Ziel. Mag ich auch nicht. So ein Quatsch mit Soße. Das Ziel ist das Ziel.
Und wenn man überhaupt ein modernes Bild für den Lebensweg benutzen will. Dann denke ich, das Leben ist wie eine Autofahrt durch den Ruhrpott, ohne Navi, wenn man noch nie da war. Tausende Ausfahrten, die alle so richtig wie falsch sind. Und nur eine ist wirklich richtig. Tausende Auffahrten, die zum Ziel führen könnten. Könnten. Und nur eine ist die richtige. Tausendmal verfahren und doch wieder auf der richtigen Autobahn gelandet. Tausendmal nach dem Weg gefragt. Immer eine andere Antwort bekommen oder nichts verstanden. Tausende Wegweiser und Schilder, die einem nicht immer den richtigen Weg weisen. Oder die man nicht gesehen hat. Zu spät erkannt. Und dann in tausenden von Baustellen gestanden. In Staus auf dem Weg zum eigenen Ziel. Der Lebensweg ist wie die alte B1. Du weißt nie, wo du ankommst. Du fährts immer so mit – mit allen. Du glaubst, du müsstest eigentlich richtig sein. Aber dann ...
(Foto: Peter von Felbert, Motiv: Achterbahn Aufbau auf der Wiesn)
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