Samstag, 17. Oktober 2009
Samstagsgedanken: Berufswahl
Macht sich heute noch jemand Gedanken darum, was er werden will? So beruflich, meine ich. Oder wird man automatisch das, was die Eltern sind: Anwalt, Beamter oder Hartz-IV-ler? Bei uns damals in der Schule war das noch überhaupt kein Thema. Nicht einmal in der Abiturklasse wurden wir auf so etwas Unwichtiges wie eine Berufswahl hingewiesen. Da war es allemal wichtiger, griechische Deklinationen zu lernen oder eine Interpretation zu einem Goethe-Gedicht zu verfassen.
Studiert haben wir dann etwas, wo wir glaubten, da ließe sich später Geld mit machen. Hauptsache, wir mussten noch nicht arbeiten. Aber wie läuft denn das heute ab mit der Berufswahl? Wo doch angeblich schon in der dritten Volksschulklasse der heiße Kampf um den Numerus Clausus beginnt und nur der versetzt wird, der dem Rektor morgentlich aus dem Mantel hilft.
Weil ich das ganz ohne Markus Lanz und Crew wissen wollte, ging ich direkt an die Basis. Ich fragte meine Nichte, bald 20 & Friends. Was wollte ihr denn mal werden?
Die eine antwortete, Modedesignerin. Der andere Fußballprofi. Als ich die angehende Vivian Westwood fragte, was sie denn schon geschneidert habe, kam die Antwort: Nichts. Sie könne noch nicht einmal nähen, geschweige denn mit der Nähmaschine umgehen. Auch Zeichnen sei nicht so ihr Ding, räumte sie freimütig ein. Und Ideen für Klamotten habe sie außer „cool muss es aussehen“ auch keine. Ihr Berufswunsch resultierte lediglich aus ihrer Vorliebe fürs Shoppen.
Auch der zukünftige Lukas Podolski spielte noch immer in der B-Klasse und dachte mit einmal Training die Woche, müsse sein Talent doch voll zur Entfaltung kommen, so dass er beim nächsten Brasilienurlaub als aufstrebendes Jahrhunderttalent aus Rio von der Scouting Abteilung des FC Bayern München entdeckt werden müsste. Ganz krass, Alder!
Die weiteren traurigen Details lasse ich jetzt hier mal weg. Klar wurde mir lediglich, dass durch den allgegenwärtigen Medienkonsum doch inzwischen die meisten Heranwachsenden glauben, Ausbildung, Bildung oder Können, Talent oder Begabung, Begeisterung oder Wille seien unwichtig. Wichtig sei, zur richtigen Zeit beim passenden Casting oder am richtigen Ort zu sein, um entweder von Dieter Bohlen zum Superstar aufgebaut, von Detlef D. zum Popstar gemobbt, von Karl Lagerfeld auf der Kö in Düsseldorf als künftige Muse entdeckt oder wenigstens von Boris B. oder wahlweise Flavio Briatore geschwängert zu werden.
Meine These wurde mit dem gerade vorüber gegangen Oktoberfest erhärtet. Die Münchner Boulevardpresse zelebriert während der Wiesn täglich, welche Leute derzeit hipp sind. Mangels wirklicher Prominenter werden - wie soll ich sagen? - Journalisten-Objekte aufgebaut, über die man schreiben kann und die sich willig im Vollrausch fotografieren lassen.
So ist z.B. ein Wiesnwirt ein mächtiger Prominenter. Früher hieß es einmal, wer nichts wird, wird Wirt. Doch heutzutage wird selbst der Kneipenbesitz gecastet, zudem ist er Herr über die Biertische und die bunten Einlassbandl. Damit entscheidet er, wer morgen in der Zeitung steht und nachlesen darf, wen er oder sie im Suff gebusselt hat.
Auch Fernsehköche sind sehr prominent. Und DJs, also Plattenaufleger. Ebenso gehören Türsteher zur Münchner High Society und natürlich Models. Die heißen entweder Sara oder Giulia und haben mal reich geheiratet oder wenigstens einen reichen Papa. Noch besser natürlich beides. Friseur heißt heute Stylist und ist natürlich auch berühmt. Im Hippodrom oder Käferzelt ist man sogar schon berühmt, wenn man nur drin sitzt. In ist, wer drin ist - oder zumindest Unternehmergattin ist. Und als Normalo rein kommt man nur, wenn man mal mit einem Prominenten liiert war. Wenn sich dann zwei Exen neu liieren, sind sie in der Verbindung gleich mega-hipp. Beliebt sind auch leicht verschwommene Berufsbilder wie Mediengestalter, Schmuckdesignerin, Moderatorin, Event-Manager oder Webdesign-Architekt. Wichtig ist, dass man gerade ein neues Projekt vorbereitet, über das man aber noch nicht reden darf. Meine Lieblingsberufe sind aber TV-Lady und It-Girl. Bei beiden weiß man zwar gleich überhaupt nicht, was das ist oder was die machen, aber es ist - ja, was? It, halt.
Hätte ich damals solche Vorgaben und Vorbilder für meinen zukünftigen Beruf gehabt,mein Gott, ich wäre heute Spielerfrau!