Donnerstag, 15. Mai 2008
stadtpflanzen
isarsurfer
Donnerstag, 1. Mai 2008
Entfaltung
Der Wunsch zur Entfaltung ist wohl Jedem mal gekommen. Der eine verwirft ihn. Anderen wird er verworfen. Denn Entfaltung hat offensichtlich viel mit Freiheit zu tun. Sich entfalten können, ist somit abhängig wie dicht man an Anderem und Anderen steht.
Große Freiheit und große Entfaltung hat somit viel mit Einsamkeit zu tun. Mit sich allein sein, wollen, können und sollen. Einsamkeit als Vorrausetzung für diese Art von Entfaltung. So dass Kompromisse aller Art entfallen. Dass Nichts die natürliche Entwicklung beeinflusst. Diese Art von Menschen kommt zwar in den persönlichen Genuss der vollkommenen persönlichen Entfaltung. Aber der Preis dafür ist, wie gesagt, nicht gering. Es ist die Einsamkeit.
Denn man steht offensichtlich meist alleine da. Mit seinen Wünschen, Vorstellungen, Hoffungen, Befürchtungen und allen anderen Gedanken und Gefühlen die einem so durch den Kopf gehen, bis hin durch den Magen, den Rücken rauf und runter von den Haar- bis in die Fußspitzen.
Zu alledem muss man sich eine eigene Meinung bilden. Eigene Entscheidungen treffen. Man muss eben sehr eigen sein, um überhaupt Freiheit gebrauchen und nutzen zu können, im Sinne von Entfaltung. Denke ich. Ich kann aber auch irren.
Ich für meinen Teil möchte so viel Entfaltung dann lieber doch nicht und stehe lieber im Wald. Neben ihm, dir, ihr...
Donnerstag, 24. April 2008
Ein Stück vom Bach (Hansgeschichten)
Hans stand im Bach und überlegte, ob er was riskieren sollte. Nur wenige Meter, dann hätte er die alte Steinbrücke erreicht. Drunter hergehen oder doch besser außen herum? Er spürte wie das Wasser kühl um seine Waden strich. Es war trüb und hatte die Farbe des Kaffees, wie sein Vater ihn mit reichlich Milch zum Frühstück trank. An normalen Tagen hatte der Bach immer nach feuchter Erde gerochen. Jetzt war es ihm, als ob es vor ihm aus dem Maul eines großen schwarzen Hundes roch.
Hans war bis hierher durch den ganzen Bach gewatet. Er war wie jedes Mal an jener Stelle die steile Böschung hinab gestiegen, wo das Wasser flach über ein Bett aus schwarzen und weißen Kieselsteinen kroch, und wo er am liebsten lange Zeit in der Sonne saß, weil er dem Plätschern des Baches lauschen konnte, das hier das Lauteste war – wenn man das Rauschen der hohen Pappeln und Schwarzerlen erstmal ausgeblendet hatte. Das Bachplätschern klang wie ganz sanftes Klavierspielen, ganz zart, ganz hell, ganz fein. Er stellte sich vor, was für feine Hände der Spieler haben musste, wenn er so zart spielen konnte. Er musste die Musik sehr lieben, so zart war sein Spiel. Immer, wenn Hans die Musik hörte, war es ihm, als würde er träumen. Er hatte die Augen geschlossen und die Musik war da. Sie floss durch seinen Kopf. Er öffnete die Augen und die Musik war immer noch da. Seit damals war es immer diese Musik, die er auch anderswo zu finden suchte.
Als er die Stelle mit den weißen und schwarzen Kieselsteinen hinter sich gelassen hatte, sah er das alte Telegrafenhaus. Es war aus roten Ziegeln gebaut. Es war eine Art Turm, in dem man sich gewiss prima hätte einrichten können. Der Turm war so hoch wie zwei Männer und er musste den Kopf ganz in den Nacken legen, wie er unten im Bach stehend nach oben sah. Der Turm lag im Schatten der alten Pappeln, Weiden und Erlen, die hier am Bach Spalier standen. Die Pappeln und Erlen waren so hoch, dass sie bis in den Himmel wuchsen und herrlich rauschten, wenn der Wind in ihre Kronen fuhr. Weiter oben kam ein Stück ohne Pappeln und Erlen. Hier standen die alten Kopfweiden, die hohl waren und sich zum Klettern anboten. Das letzte Stück hinter der Steinbrücke war wieder mit Pappeln und Erlen bestückt; und dann kam auch bald das Dorf und der Bach verschwand zwischen den Häusern, die alle Gärten hatten, die bis an den Bach heran reichten.
Der Turm hatte eine Tür aus Eisen. Auf der Tür aus graulackiertem Eisen warnte ein gelbes Schild mit schwarzem Blitz vor der tödlichen Gefahr. Auf dem Turm saß ein steiles Satteldach mit schwarzen Dachpfannen. Von den beiden Giebelseiten führten schwarze, fingerdicke Drähte weg. Da, wo sie vom Haus wegführten, waren faustgroße weiße Kugeln. Wenn einer der schwarzen Drähte reißen und in den Bach fallen würde, dann wäre er sofort tot, dachte er jedes Mal. Er würde mit dem Bach ins Meer treiben und seine Mutter würde um ihn weinen.
Das Wasser des Baches floss träge und es war leicht gewesen mit der Strömung zu waten. Der Bach war nirgends mehr als einen halben Meter tief. Mal umspülte er die Knöchel, wie an der Stelle mit den Kieseln, weiter oben wurde das Bachbett schmaler und der Grund schlammig. Hier reichte das Wasser bis über die Knie. Er ging dann auch langsam, weil sich die Füße im Schlamm festsogen und der Grund nicht mehr sichtbar war. Vor ihm war das Wasser graubraun wie Putzwasser, hinter ihm wirbelten braune Schlammwolken auf. So sah es aus, wo der Orinoko in den Amazonas floss. An beiden Seiten des Baches waren Wiesen. Das Gras wuchs in langen Büscheln über die Böschung in das Wasser hinein und die Strömung kämmte die Grashalme immer in die gleiche Richtung. Auf der Wasseroberfläche liefen kleine grünlich schimmernde Käfer. Mit der Strömung trieb manchmal ein Ast auf einen zu, trieben Blätter vorbei und manchmal schwamm auch eine Bierflasche heran. Es konnte passieren, dass man in eine Scherbe trat. Hans war das nur einmal passiert, es hatte geblutet und es war eine Narbe geblieben. Das Dümmste aber war, dass man bei einer Verletzung warten musste, bis sie zugeheilt war. Es konnte ein oder zwei Wochen dauern, bis man wieder in den Bach steigen durfte.
Da er seine Füße nicht sehen konnte, wenn er durch den Bach watete, war es ein komisches Gefühl, wenn etwas um seine Beine strich. Es konnte alles sein. Wenn es etwas Hartes war, dachte er an einen Schuh. Wenn es etwas Weiches war, dachte er an eine Graswurzel. Jedenfalls, wenn er sich zureden wollte. Er konnte sich aber auch etwas anderes vorstellen. Zum Beispiel ein Tier, eine Schlange oder eine Ratte, obwohl es hier keine Schlangen gab. Dann machte er drei, vier entschlossene Schritte nach vorn, dass das Wasser vor seinen Beinen anschwoll und ihm bis auf seine kurzen Hosen spritzte. Hans hatte hier noch nie eine Ratte gesehen, aber er war sicher, dass es sie gäbe, weil die Leute es erzählten. Riesen Viecher, so groß wie Katzen. Neulich habe der Bauer wieder eine mit dem Spaten erschlagen, hatte sein Vater ihm erzählt; bei der Steinbrücke war’s. Alles, von dem ein starker Geruch ausging, würde sie anlocken und Blut, da wären sie besonders toll. Hans wusste, wenn ihm eine begegnen würde, nähme er einen starken Ast und würde sie totschlagen. Er würde es ihnen schon zeigen, wer der Herr war am Bach.
Das Bachbett war nirgends besonders breit. Nur nach einem Regen, wenn der Bach mehr Wasser führte. An jeder Stelle konnte man drüberspringen. Das machten die Jungs, weil es eine Mutprobe war. Es gab nur eine Stelle, die man unmöglich überspringen konnte. Das war die Stelle, wo das Kiesbett war. Hier hätte es einfach an Anlauf gefehlt, weil die Böschung steil abfallend war. Anderswo war es kein Problem; auch für Hans nicht, obwohl er körperlich zu den Kleinsten zählte. Nein, es war überall zu schaffen, außer bei Hochwasser, wenn es tagelang geregnet hatte. Dann stieg der Bach um bis zu einen Meter an und machte sich breit in seinem Bett. An normalen Tagen reichte ein guter Anlauf und man war drüben, mit einem Satz. Ein schlechter Anlauf kostete wertvolle Zentimeter und man landete im Bach. Manchmal nur mit einem Bein, manchmal ganz. Dann zog man zuhause trockene Sachen an und probierte es sofort erneut. Wenn man es nicht sofort wieder anging, ging man es vielleicht nie mehr an.
Im Bach lebten Stichlinge, die man fangen konnte. Das silbrige Fischchen war nicht größer, als der kleine Finger und auf dem Rücken hatte es drei Stacheln, weshalb die Leute hier am Bach dazu Stachelditzchen sagten. Die Art zu fischen war einfach. Man brauchte entweder ein altes Küchensieb oder man konstruierte einen Köcher aus einem Damenstrumpf, dessen Öffnung man um einen rundgebogenen, starken Draht spannte. Stachelditzchen waren überall im Bach. Man fing sie am besten an seichten Stellen; dort, wo das Wasser nicht so trüb war und die Fischchen in ihrer Bewegung eingeschränkt waren. Der beste Platz war, wo die schwarzen und weißen Kiesel lagen. Er baute eine Art Becken aus den größeren Kieseln. Eine Wanne im Bach, in die er seinen Fang mit dem Sieb oder dem Köcher treiben und aus der er Fisch für Fisch herausschöpfen konnte. Am Ufer hatte er ein großes Glas mit Wasser vorbereitet, in dem er die gefangenen Fischchen aufbewahrte. Das Wasser war aus dem Bach und in dem Glas sah es viel klarer aus. Er konnte ganz hindurchsehen und betrachtete die Fischchen und kleine Teile, die im Wasser schwebten. Er zählte die Fischchen und er war zufrieden, wenn er viele gefangen hatte. Sein Rekord stand bei sechsunddreißig an einem Nachmittag. Er war sich nicht bewusst, wann genau der Nachmittag anfing und wann er endete, aber er war lange genug, um reichlich Beute zu machen. So lang, wie zu der Zeit an dem Bach, war ihm nie mehr wieder ein Nachmittag vorgekommen.
Inzwischen war er schon ein gutes Stück gewatet und er musste bald die Steinbrücke sehen. Bis dahin wollte er einen Entschluss gefasst haben: unter der Brücke durch oder doch raus aus dem Bach. – Hätten die Leute doch nur nie von den Ratten erzählt.
Sonntag, 13. April 2008
matera, basilikata, eine reise durch sueditalien
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Sonntag, 30. März 2008
Sommerzeit
Jedes Jahr derselbe Stress! Kaum hat man sich mit der Winterzeit und dessen gesundheits-schädlichen Folgen auf das vegetative Nervensystem arrangiert, muss man die Uhren schon wieder auf Sommerzeit umstellen. Dass in Bayern die Uhren anders gehen, wissen wir. Nicht wahr? Beckhuber!
Aber wie war das gleich noch mal? Eine Stunde vor oder eine Stunde zurück? Das ist ja auch zu blöd. Also logisch vorgehen. Energie sparen wollte man damals. Wieder so ein grüner Plan, der nicht aufging, aber gleichwohl zu mehr Lebensqualität beiträgt.
Überlegen wir doch mal. Eine Stunde zurück? Dann wird’s früher dunkel und eher hell. Die Bäcker brauchen also weniger Licht am Morgen und die Stundenten, die auf dem Nachhauseweg sind, auch. Hier wird also Energie gespart. Wenn es früher dunkel wird, gehen die Menschen eher ins Bett. Auch das spart Energie. Vorausgesetzt, es wird auch geschlafen. Also eindeutig eine Stunde zurück?
Oder eine Stunde vor? Es bleibt länger hell. Alle sind länger auf und verbrauchen dabei mehr Strom, fürs Fernsehen, für den Computer oder für die AirCon, wenn heiß die Sonne ins Büro brennt. Oder doch weniger, weil weniger Licht eingeschaltet wird? Aber morgens um 05:00 Uhr ist die Welt nicht nur in Ordnung, sondern auch wieder dunkel, was mehr Licht benötigt. Brauchen wir jetzt abends mehr Strom als morgens oder weniger, oder Dienstags im Freien?
Und wer hat überhaupt überall all diese kleinen Uhren eingebaut, die wir jetzt umstellen sollen! Im Fax ist eine Uhr, im Radiowecker und sogar im Herd finde ich eine. Ja, wer braucht denn alle diese Uhren? Und wo finden sich die Bedienungsanleitungen dazu? Wenn selbst die Uhr im Tachometer der KFZ-Meister nicht stellen kann?
Wisst Ihr was? Jetzt sind beim Transrapid, dem Stoibertrain, die Lichter aus, dann kann ich meine Uhren auch lassen, wie sie sind. Dann stimmen sie wenigstens im Oktober wieder. Was man von der CSU nicht unbedingt wird behaupten können.
Freitag, 21. März 2008
Legastheniker – Gas digt es goch dar nicht – oger?
Ich bin einer. Erst dachte ich als Kind, oh mein Gott, das mit der Rechtschreibung bekommst du nie hin. Vor allem weil mich von allen Seiten alle auf meine vielen Rechtschreibfehler hinwiesen. Deshalb habe ich das Schreiben - so gut es ging - eingestellt. Denn wo keine geschriebenen Worte standen, konnten auch keine Fehler entstehen.
Die Lehrer haben das damals nicht erkannt. Meine Eltern auch nicht. Der ist schlecht in Rechtschreibung, hieß es. Es gibt eben so Menschen. Die einen können nicht rechtschreiben, die anderen nicht recht rechnen. Und wenn es einen ganz übel trifft, kann man beides nicht. Dann ist man – blöd.
In meinem Fall trug es sich im Laufe der Zeit so zu. Da ich die Fehler nicht so stark vermindern konnte, wie es nötig gewesen wäre, um eine gute Note zu erhalten, musste eben der Inhalt die Schreibfehler ausgleichen. Somit hatte ich oft inhaltlich alles richtig und perfekt, voller Fantasie und meist viele Seiten mehr als meine Mitschüler und bekam dafür eine "1". Doch für die Rechtschreibung eine "6". Das machte im Mittel eine "3". Im Mündlichen schob ich mich hier und da auf eine "2" oder rutschte auf eine "4" ab.
Somit musste ich inhaltlich immer die besten Arbeiten abliefern. Sonst wäre das mit dem Abitur nichts geworden. Der Legastheniker macht Fehler, viele Fehler, die er selbst nicht erkennt. Weil er nur den Sinn des Wortes sieht, nicht die Buchstaben. Deshalb kann er Groß- und Kleinschreibung nicht auseinander halten. Was dazu führt, dass sie immer schlechter wird, weil er immer im Ungewissen ist, ob das jetzt richtig oder falsch ist. Und er verwechselt Buchstaben. Da hilft alles Verständnis der Rechtschreibung nichts. Er sieht die Fehler nicht, die er macht. Denn er vermutet sie nicht. Deshalb übersieht er sie.
Das ist so. Heute ist das eine anerkannte Störung. Und führt dazu, dass die typischen Legastheniker-Fehler nicht mehr die Note beeinflussen. Diese werden aufgrund der Störung nicht mitgerechnet. Das bedeutet, dass ich in der Hälfte der Fächer, in denen ich eine "2, 3 oder 4" hatte, ich heute eine "1, 2 oder 3" hätte. Ich wäre somit eine ganze Note besser. Ich habe ein Abitur mit 2,2 gemacht. Das bedeutet, ich hätte mindestens ein Abi mit 1,7 gemacht. Was mir ganz andere Studiengänge als BWL ermöglicht hätte. Hat es aber nicht.
So ändern sich eben die Zeiten. Da bin ich einfach ein paar Jahre zu früh dran gewesen. Was wohl aus mir geworden wäre, mit einem "Einser" - Abitur?
Aber selbst das alles hat mich nicht vom Schreiben abgehalten. Das muss man sich mal vorstellen. Noch heute bin ich getrieben von dem Instinkt, der da sagt: Du musst besser schreiben als die anderen, damit man über die Fehler hinweg sieht.
Ich weiß nicht, wie vielen Werbetextern es so geht wie mir. Oder anderen, die zu den Buchstaben gegriffen haben. Aber ich ahne, es sind mehr, als man glaubt. Also, wenn ihr mal auf einen Legastheniker trefft, dann erklärt ihm nicht die Rechtschreibung, sondern konzentriert euch mehr auf die Inhalte. Noch schöner, ihr bietet ihm an, die Fehler zu korrigieren. Denn eins ist mal klar, viele Menschen können zwar richtig schreiben, aber inhaltlich fehlt zumeist die Substanz. Es ist schwerer, die richtigen Worte zu finden, als letztendlich die richtige Schreibweise. Das kann ja sogar das Rechtschreibprogramm eines Computers. Aber der kann keinen einzigen intelligenten Satz von selbst schreiben. Nur auf Fehler hinweisen.
Also, meine Bitte: Mehr Toleranz und mehr Hilfe für Legastheniker. Es lohnt sich. Ach, hier noch eine kleine Liste von mehr oder weniger bekannten Legasthenikern:
Johannes Gutenberg, Albert Einstein, Alfred Hitchcock, Ernest Hemingway, Francois Mitterrand, Tom Cruise, Michael Jackson, Diego Maradona, Leonardo da Vinci, Jackie Stewart, Agatha Christie, Hans Christian Anderson, George W. Bush, Victoria von Schweden, August Rodin, Whoopi Goldberg, Steven Spielberg, Dustin Hoffman, Walt Disney, Franklin D. Roosevelt, John Lennon, Steven Hawkins, Charls Darwin, Napoleon Bonaparte...
Das müsste vorerst reichen.
Montag, 3. März 2008
hintertux
Mittwoch, 20. Februar 2008
Seelenwanderung (Hansgeschichten)
Sobald er in den Wald kam wurde es kühl. Zuerst spürte er die Kühle im Gesicht, dann an den nackten Armen und dann um die Beine, die auch nackt waren. Am liebsten ging er, wo kein Weg war. Er stellte sich dabei vor, dass hier noch kein Mensch vor im gegangen war.
Dort, wo er am liebsten ging, reichte das Farnkraut bis zu den Hüften und kitzelte beim Gehen an den nackten Beinen. Oder er ging über einen dicken Teppich aus Tannennadeln, der einen harzig-süßen Duft verströmte. Oder er ging in eine Schonung hinein, wo junge Birken standen und gelbes Gras in dicken Büscheln wuchs, über die man stolpern konnte.
Dort, wo er am liebsten ging, war es ganz still. So still, dass er die Stille hören konnte. Kein menschliches Geräusch drang bis an diesen Ort. Dort, wo er am liebsten ging, hörte er das Kreischen der Mäusebussarde, die paarweise über ihm und über dem Wald ihre Kreise zogen. Er wusste, dass es mehrere waren, denn er wusste, dass Mäusebussarde fast nie alleine flogen und sich ein Leben lang treu blieben. Überhaupt wusste er viel über den Wald und die Tiere. Er hatte sein Wissen nicht nur aus Büchern. Er würde es später seinem Sohn erzählen, falls er einen Sohn haben würde. Er würde ihm die Stellen zeigen, wo die Bussarde flogen oder die Waldohreulen anzutreffen waren oder der große Buntspecht mit dem scharlachroten Fleck auf dem Kopf. Er war sich sicher, dass er immer in den Wald gehen würde, auch später, wenn er erwachsen wäre. Er konnte sagen, dass er es liebte und immer lieben würde.
Besonders liebte er es im Sommer, wenn es stickig war und schwül. Denn dort, wo er am liebsten ging, kam das Sonnenlicht nur fleckenweise hin und die Blätter der jungen Buchen fächerten einem noch Kühle zu. Er liebte es auch im Schatten eines bestimmten Eichenbaumes zu liegen und dem Singen der Blaumeisen zuzuhören, oder auf einen Hochstand zu steigen und sich die Welt von oben anzusehen.
Er liebte es auch, am Bahndamm entlang zu gehen, wo die süßen Brombeeren im August reif waren und es machte ihm nichts, dass die Sonne brannte und die Dornen beim Pflücken die Haut ritzten und es auf den Armen und an den Beinen zu jucken begann und dann zu brennen.
Er liebte es auch, oben auf dem Bahndamm zu gehen, die Gleise entlang zu sehen, endlos geradeaus in die eine und in die andere Richtung, bis er nur noch ein Flimmern der Hitze am Ende sah. Und manchmal fand er einen toten Bussard, der vor den Zug geflogen war und der nur das Genick gebrochen hatte und schlaff wie schlafend neben den Schienen im schwarzen Schotter lag; wunderschön und tot und noch edel im Tode und manchmal noch warm. Und dann mochte er den Vogel nicht begraben, denn er war zu schön in seinem braungesprenkelten Federkleid, zu schön der gelbe Schnabel und die gelben Greife zu Dolchen gebogen, zum Töten, zum Überleben. Er dachte, dass es besser gewesen wäre, der Zug hätte ihn in Stücke gerissen, dann wäre es leicht gewesen, sich von seinem Anblick zu lösen.
Als er die Wege ging, die er am liebsten ging, war er ein Junge gewesen. Er ging im August, wenn es nach Sommer roch, im Herbst bei klarem blauem Himmel, an Wintertagen über zugefrorene Pfützen, die beim Darübergehen krachten. Er ging auch, wenn er woanders war, wenn er träumte, mit geschlossenen oder mit offenen Augen, wenn er auf seinem Zimmer war, beim Essen am Küchentisch saß, auf dem Schulweg, oder wenn er an einen Beruf dachte, oder in den Ferien, oder vor dem Einschlafen und im Fieber.
Er ging die Wege immer und immer und er wusste, dass ein Weg, den er einmal gegangen war, und den er wieder ging, niemals dergleiche war. Er wusste auch, dass es noch viele Wege gab, die er ausprobieren wollte. Er wollte sie alle gehen. Alle allein. Allein war man frei, jeden Weg zu gehen.
Freitag, 4. Januar 2008
Bürokratie 1
Zum neuen Jahr 2008 wird hier ein neues Forum aus der Taufe gehoben. Ein zutiefst deutsches Forum. Wir stellen in loser Folge die tollsten Beispiele beeindruckendsten Bürokratiewahnsinns vor und bitte um Zusendung ähnlich gelagerter Beispiele.
Am Quartalsende, dem Standardmaß deutscher Manager-Weitsicht, wählen wir dann den „Tor des Quartals“ oder „die Super-Tollheit bürokratischer Empathie“.
Das können wahnwitzige Vorschriften der Stadtwerke sein, lächerliche Verordnungen einer Gemeindesatzung, die Willkür eines rosaroten Konzerns im Kundenservice oder die unbegreifliche Sturheit von Oma Erna bezüglich ihres Gartens. Hauptsache, die Beispiele zeigen, was das Thema so lustig und so traurig macht, die totale Absenz jeglichen gesunden Menschenverstandes.
Beginnen möchte ich unsere Serie mit einem harmlosen Schild:
Ende der 30 km-Begrenzung steht hier. Eine Aufforderung an den durchschnittlichen deutschen Autofahrer, vom dritten in den vierten Gang zu schalten und wieder Gummi zu geben. Doch leider, nach 20 Meter macht die Straße eine 90° Linkskurve. Gut, dass der Acker geradeaus eine lange Auslaufzone bietet. Wer es trotzdem schafft, sieht sich bereits nach weiteren 50 Metern wieder gemein ausgebremst. Geradeaus geht es in eine Sackgasse, die nur für Anlieger gedacht ist und nach rechts weist ein blaues Verkehrszeichen auf etwas hin, was unserem Nachwuchs-Schumi jetzt endgültig die wütende Ralf-Röte ins Gesicht treibt. Ab hier Fußgänger- und Fahrradstraße. Ich weiß, die meisten Leser dieser Glosse halten dieses Schild für den Wahnsinn des Quartals.
Was ich nicht weiß, ist wieviel so ein Verkehrsschild kostet, inklusive Aufstellung und Wartung durch den städtischen Putztrupp. Jedoch erscheint mir der Standort des "Ende der 30 km Beschränkung - Schildes" beim Verlassen einer 30-er Zone für glatte 50 Meter freier Fahrt dann doch etwas - wie soll ich sagen - typisch beamtisch?
Mein Vorschlag Nummer 1.
Montag, 3. Dezember 2007
Loi Krathong
Vor-vor-letzten Samstag begingen die Thailänder ihr traditionelles Loi Krathong Fest. Jedes Jahr, zum Ende der Regenzeit, wenn der letzte Vollmond des Jahres am Himmel steht, versammeln sich nach Einbruch der Dunkelheit an allen Bächen, Flüssen und Seen, selbst an den Stränden der Andamanischen See oder des indischen Ozeans die Menschen. Sie bringen kleine Nester zu Wasser, geschmückt mit Blumen und Kerzen. Und so treiben hunderte von kleinen Schiffchen im Kerzenlicht auf den Wassern dahin. Ein Anblick, der wenn man ihn das erste Mal sieht, so fremd ist und so schön. So fern und so vertraut, dass einem das Herz ganz weit und warm wird.
Wie viele der thailändischen Bräuche stammt auch dieses Fest vermutlich aus Indien. Doch die Thais, das stolze Volk der Freien, wie sie sich nennen, adaptiert alles von außen Kommende in irrsinniger Geschwindigkeit. Mit den Kerzen verehrten sie fortan ihren Buddha, der in den „fließenden (loi) Nestern (krathong)“ meist auch noch verschiedene Räucherstäbchen mitbekam.
Doch praktisch veranlagt, wie die Thais in Allgemeinen sind, entwickeln sie aus importierten Vorgängen ihre eigenen Rituale. So fällt auch die erste Bananenernte des Jahres auf das Ende der Regenzeit. Aus den Blättern und Strünken der Bananenstauden basteln sie ihre Krathongs, die kleinen Flöße, Körbchen oder Nester und schmücken sie mit Blumen, Kerzen und Räucherstäbchen. Aber auch ein kleiner persönlicher Nutzen muss schon sein. So geben die Thais ihren Nestern auch kleine Zettelchen mit. Dort schreiben sie ihre Sünden auf, ihre Laster, oder die typischen kleinen Bosheiten und geben sie dem Wasser mit. Eine elegante Art der persönlichen Absolution.
Komisch, dachte ich letzten Samstag, als mir das „Lichterfest“ gerade bewusst wurde. So viele Feste importieren wir aus den USA - oder reimportieren sie wieder. Muttertag oder Halloween sind solche Produkte. Aber selbst in Zeiten, wo schon fast jeder mal Urlaub im thailändischen Mallorca - Phuket - gemacht zu haben scheint, werden die thailändischen Feste hierzulande noch gar nicht begangen. Das müsste doch eine Marktlücke für ausgefuchste Trendmacher sein. Passt doch das Lichterfest wunderbar in unsere stille Zeit und selbst das lärmende Songkran, das bekanntere Wasserfest zum thailändischen Neujahr, fällt bei uns günstigerweise in den Frühling.
Würde ich Tees verkaufen oder Kräuter, ich würde die Idee der Krathongs schon importieren. Nicht die Bananenblätter vielleicht, aber eine gewaltige Zubehörindustrie ließe sich aufbauen. Wer abseits der touristischen Pfade in Thailand Loi Krathong erleben will, sollte sich zum Frühstück mit Thais an einen Tisch setzen. Schon bald kommen die ersten Verkäufer vorbei. Mit Blumensträußen, duftenden Orchideen, Blättern und Blüten, dass es eine Pracht ist. Nicht das Styroporzeug, das inzwischen in den Touristenzentren als fertiges Nest verkauft wird. Nein, alles bringt eine unglaublich füllige Natur einzeln auf den Tisch.
Dann wird man eingeladen, mitzumachen. Unter großem Palaver und Gelächter werden die ersten Nester geflochten und im eilig herbei gebrachten Eimer getestet. Natürlich gibt es etliche Tauchgänge und Schlagseiten. Doch mit umso größerem Eifer, wird an den Konstrukten gearbeitet. Es ist unglaublich, wie schnell so ein falsch gebasteltes Körbchen untergehen kann. An einen so schnell und kurzweilig verbrachten Tag, wie meinen ersten Krathong-Basteltag kann ich mich kaum erinnern. Ich denke, zum Schluss bastelten über 20 Leute an unserem „Frühstückstisch“.
Das fiel mir ein am Samstag, als ich in einen grauen Novembernachmittag schaute. Und ich ließ ein kleines Teelicht, das ich in einen Kranz aus Palmenblättern gestellt hatte, in einer Pfütze auf meinem Balkon schwimmen. Und ich gab dem Kerzenlicht die schlechten Gedanken dieses Jahres mit.
Montag, 19. November 2007
Jäger & Sammler 2
Eines muss man den Weibchen der Spezies Mensch lassen. Sie haben es gut raus, den Beschützerinstinkt des Männchens zu wecken. Das ist eine legitime Überlebenstaktik. Denn während das Weibchen mit den Jungen lokal gebunden ist und auf Versorgung angewiesen bleibt, streift der große, weiße Jäger ziellos durch sein Territorium auf der Suche nach Beute, Scharmützel oder schnellen Vergnügungen.
Eines der beliebtesten Spielchen ist das „Schlechte-Gewissen-Spiel“. Es geht darum: Egal, was das Männchen sagt, bleibt es zum Schluss als schlechter Kerl zurück, den sein schlechtes Gewissen jetzt treibt, sich wieder ausschließlich um das Weibchen zu kümmern.
Hier eine milde Form des Spiels, täglich mehrfach erfolgreich eingesetzt. Das Männchen macht sich fertig für die wochenendlichen Einkäufe. Draußen tobt ein Schneesturm, den ein Tief planmäßig über Hamburg hergeweht hat. Das Weibchen liegt noch im warmen Bett und stellt in den Raum: „Heute stehe ich nicht auf.“ Erste Runde. Das Männchen, selbst wenn es schon einigermaßen erfahren ist, tappt leicht in die aufgestellte Falle. „Na gut, dann bliebst du halt liegen. Und ich bringe dir was Schönes mit. Nachher frühstücken wir dann zusammen.“ - „Aha, du willst also wieder ohne mich losziehen“, schluchzt sie mit gespielter Empörung los. KO in der zweiten Runde.
Was könnte das Männchen tun? Ich bin heute milde gestimmt und will mal nicht so sein. Ein kleiner Tipp aus meinem Nähkästchen: Da es beim „Schlechte-Gewissen-Spiel“ darum geht, dass sich das Männchen kümmert, liegt hier auch der einzige Ausweg. Denn mit der Einleitung „Heute stehe ich nicht auf“, testet das Weibchen einzig seine aktuelle Kümmerbereitschaft. Da muss da Männchen auch die entsprechenden Geschütze auffahren. „Bist du krank, Liebes?“ wäre zum Beispiel eine gekonnte Erwiderung. „Dann fahre ich dich sofort ins Krankenhaus oder wir rufen den Notarzt“, müsste allerdings noch folgen, damit es glaubwürdig bleibt. Erste Runde geht klar ans Männchen.
“Nein, so schlimm ist es nicht“, geht das Weibchen in die zweite Runde. „Mir ist nur so kalt“, baut sie eine zweite Falle auf. „Dann komme ich wieder ins Bett und wärme dich“, könnte das Männchen jetzt fürsorglich sagen, um dem Weibchen seinen Triumph zu lassen. „Ihr Kerle denkt doch immer nur an Sex“ zieht sie das Herz-As und steht endlich auf. Zurück bleibt das Männchen, das sich geschickt auf das „Schlechte-Gewissen-Spiel“eingelassen hat, aber immerhin zum gemeinsamen Einkaufen kommt.
Mit sehr viel Geduld und Erfahrung kann es dem Männchen gelingen, auch weiterhin die grobe Richtung vorzugeben, wenn es ihr bei diesen Spielchen ihren kleinen Triumph lässt. Nächste Woche berichte ich dann von der dritten Runde.
Sonntag, 18. November 2007
schnalstal
Sonntag, 11. November 2007
Die bleichen Berge
Wir waren jetzt in Bozen. Unser Hotel war alt und gut in Schuss. Die Zimmer waren neu und ziemlich gemütlich. Ich kaufte mir einen Hut bei Rizzolli, der ältesten Hutmacherei in der Stadt. Den Hut wollte ich zukünftig beim Fischen tragen.
Seit heute regnete es. Wir spazierten durch die Altstadt und verzogen uns in eine Weinklause, wo wir uns an einen Tisch setzten, an dem schon Einheimische saßen. Der Wirt war ein Italiener; etwas mürrisch, aber den Wein, den er uns brachte, konnte man sich gefallen lassen. Es war ein Lagrein und seine Farbe war Dunkelrot und er schmeckte ein bisschen wie reife, schwarze Süßkirschen. Wir aßen verschiedene mit Olivenöl beträufelte Brote dazu; warmes, krosses, duftendes Brot. Scheiben von Tomaten, gehobelter Parmesan, frisches Basilikum, salzige Sardellen. Die Brote pfefferten wir grob aus der Mühle, bis uns der Schwarzpfeffer scharf in Nase stieg.
Die Stunden nach der Mahlzeit verbrachten wir auf unserem Zimmer. Wir machten es uns gemütlich und dann schliefen wir ein.
Als wir zum Abendessen aufbrachen, regnete es nicht mehr. Aber da die Wolken den Himmel ganz bedeckten war es grau und trist in den Straßen. Auf dem nassen Pflaster spiegelte sich das Licht aus den Häusern. Und weil die Läden geschlossen waren, waren auch keine Leute unterwegs. Es war die Zeit zwischen dem Nachmittag und dem Abend. In einer Auslage auf der anderen Seite der Straße sahen wir Licht. Angezogen von dem warmen Licht gingen wir hinüber. Bücher! Wir fragten den Mann, der uns begrüßte, ob es auch deutsche Bücher gäbe. Wir sahen sein freundliches Nicken und waren froh über unsere Entdeckung: Ein Laden voller Bücher an einem grauen Bozner Spätnachmittag. Eine ganze Weile stöberten wir herum. Es gab einfache braune Holzregale und ein rotes Sofa. Die Bücher waren nach Ländern sortiert und die Regale mit kleinen, weißen handgeschriebenen Zetteln markiert: spanische Autoren in spanischer Sprache, italienische in italienischer, französische in französischer, polnische in polnischer, deutsche in deutscher und so weiter. Natürlich gab es auch Übersetzungen. Ich kaufte ein Buch von Francisco Coloane, Feuerland. Außerdem ein Literaturmagazin. Das Magazin versprach eine Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder zu sein. Der Laden war wirklich gut sortiert und wir blieben bestimmt an die zwei Stunden.
"Die bleichen Berge" vollständig lesen
Montag, 29. Oktober 2007
Jäger & Sammler
Am Beispiel des Einkaufverhaltens. Das Männchen geht eines Morgens auf die Straße und stellt fest: Schnee! Bis zu den Knöcheln. Es watet im Schnee! Das Signal, ein zweites Paar weiße Socken zu den Sandalen anzuziehen und in den an gestammten Schuhladen zu fahren. Dort fixiert der große, weiße Jäger die zu dieser Jahreszeit aufgereihten Winterschuhe, greift nach kurzem Rundblick zielsicher einen Schuh heraus, probiert ihn mit angewiderter Miene, nimmt das zweite Stück mit zur Kasse, zahlt und geht. Diese Beute wird ihn sicher durch die nächsten zehn Winter tragen.
Anders das Weibchen: Die als Abfall aussortierten Werbebeilagen der Morgenzeitung des Männchens hat sie fasziniert studiert. Diese neue Teflonpfanne mit gemeißeltem Aluminiumgriff und gedrehtem Stahlboden hat ihr Herz sofort entflammt. Unter einem Vorwand lockt sie das Männchen ins nächst gelegene Einkaufscenter, weil es ja sowieso neue Winterschuhe bräuchte.
Doch dort, ahh! Plötzlich fällt ihr ein. Sie braucht unbedingt neue, weiße Turnschuhe. Die alten sind mindestens schon sechs Monate alt, wenn nicht noch mehr. Also, weiße Turnschuhe müssen es jetzt sein. Instinktiv spürt das Männchen die nahende Gefahr. Jetzt bloß ruhig bleiben. Es setzt sich also vorsichtig auf eine dieser Knöchel hohen Bänkchen und harrt demütig der kommenden Turbulenzen.
Kurz schöpft es noch Hoffnung, sind zwar weiße Turnschuhe zu Dutzenden aufgereiht. Doch für sein Auge sehen die alle absolut identisch aus. Weit gefehlt. Mit prüfenden Blicken nimmt das Weibchen jedes einzelne Exemplar herunter, dreht und wiegt. Probiert und trägt. Na? Will sie wissen, wie sehen die aus? - Wie ein weißer Turnschuh, wäre jetzt die suboptimale Antwort! Nicken und Grunzen ist die bessere Alternative.
Nach kürzester Zeit gleicht die Turnschuhabteilung einem Kinderfaschingsball in der Endphase. Kein Karton steht mehr auf seinem ursprünglichen Platz. Zwei in entfernte Ecken geflüchtete Verkäufer werden herbei zitiert, um von diesem und jenem Exemplar die passende Größe aus dem Lager zu holen. „Nur die Größen, die Sie hier sehen“, zieht jetzt nicht mehr. Hier waltet das Weibchen in seinem ursprünglichen Reich. Resigniert nehmen es die Verkäufer zur Kenntnis und schleppen eine passende Größe nach der anderen herbei. Weiße Turnschuhe, soweit das Auge reicht!
Das Drama nimmt seinen vorgesehenen Lauf. Doch, plötzlich! Ein „Der-ist-es-Schrei“ durchdringt die Kartonstapel. Tatsächlich. Triumphierend hält das Weibchen einen weißen Turnschuh in die Höhe, der sich für alle anwesenden Männchen in nichts von anderen weißen Turnschuhen unterscheidet. In nichts? Das wäre aber wirklich zu einfach.
Mit unglaublicher Sicherheit hat sie genau das einzige Exemplar unter Hunderten oder Tausenden, wenn nicht Dutzenden gefunden, zu dem es kein zweites Exemplar gibt. Aber genau dieser Schuh muss es sein! Dieser oder keiner!
Nachdem die beiden Verkäufer inzwischen sowieso allen Widerstand eingestellt haben, sortieren sie jetzt alle Schuhe affenartig schnell zusammen. Fast beschleicht den Beobachter der Verdacht, sie wollten das Weibchen loswerden, so emsig sind sie. Die Kartons werden geschwind befüllt und ordentlich gestapelt. Doch zuletzt bleibt genau dieser eine Schuh übrig. Der, der es sein muss.
Ein einsamer, weißer Turnschuh, Größe 39. Und jetzt? Sie sinniert über Ladendiebe, die ihren einen Schuh geklaut haben. Über die Menschheit, die in Kürze vor die Hunde geht, wenn jetzt schon einzelne Schuhe geklaut werden. Über die zehn Gebote. Ein Drama bahnt sich an.
Es naht der Abteilungsleiter. Der Deus ex Machina? Der Retter? Er macht einen Vorschlag. Nehmen Sie doch diesen Schuh, Größe 39 und einen Größe 38, probieren Sie. Vielleicht passen sie ja? Das Gesicht des Weibchens verfinstert sich zunehmend. Probieren Sie. Wenn sie passen, mache ich Ihnen den halben Preis. Na gut, probieren kann man ja. Zögernd probiert sie. 39 links, 38 rechts ein Paar tastende Schritte. Trippelnd. Zögernd. Aber der halbe Preis? Was meinst du, Schatz? rhetorisiert sie in Richtung des Männchens, das nur scheinbar entspannt auf dem Bänkchen kauert. Nicken und Grunzen kommt als einzig richtige Antwort.
Na ja, es geht sich eigentlich ganz gut. Also gut, meinetwegen. Gebongt. Die nehme ich. Erleichtert wird sie zur Kasse begleitet und noch erleichterter zum Ausgang. Ihre Euphorie über ihren gelungen Beutezug nutzt das erfahrene Männchen jetzt geschickt aus und dirigiert sie zurück zum Auto. Jetzt bloß kein falsches Wort. Als sie endlich wieder zuhause angekommen sind, fällt es ihr ein. Sie hat die Pfanne vergessen. Glatt! Hättest du mich nicht erinnern können? tadelt sie. Hätte ich, denkt das Männchen.
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