Montag, 30. April 2012
Das herrliche Knacken ist zurück.
Nach gefühlten 25 Jahren ist ein alter Bekannter «Der Schallplattenspieler» wieder bei mir eingezogen. Nach dieser sehr langen Zeitspanne, in welcher der Convenience-Gedanke stark im Vordergrund stand, kehrt nun wieder die Musik zurück in den Mittelpunkt meines Interesses. Ich komme wieder dahin zurück, wo alles anfing.
Ob ich nun 100.000 Titel oder nicht auf einer Festplatte habe, von wo aus ich per WLAN, Bluetooth, Ethernet, über iPhone, iPad, iCloud, MacBook iMac etc. überall Musik hören kann, hat mich zunehmend gelangweilt und immer weniger interessiert. Mir ist aufgefallen, dass ich immer weniger Musik gehört habe. Immer häufiger habe ich ab- und aus- geschaltet. Das ständige Gedudel, vor allem von schlechter Musik, ging mir gehörig auf die Nerven. Das ist wie in einem Steakhaus, in dem zu einem Superpreis «All you can eat» angeboten wird, man selbst ist aber Vegetarier. Die Musik wurde zudem nicht besser, sondern nur die technischen Anwendungen drum herum. Eigentlich höre ich zu 80% noch immer dieselbe Musik wie vor 25 Jahren. Da ist nicht viel Neues und Gutes dazu gekommen.
Das ist alles so, als ob es in deinem Lieblingslokal nun Online-Booking über die Webseite gibt und WLAN und die Tageskarte per PDF und eine Webcam aus dem Lokal und ein IPad auf der Toilette und das Gericht des Tages per SMS, die Rechnung per Bluetooth, die Wetterapp auf deren Webseite, ... Das ist ja alles nett und sicher fortschrittlich. Aber eigentlich geht es mir in meinem Lieblingsrestaurant um das gute Lebensgefühl. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Umgeben von den richtigen Menschen. Einfach gutes Essen in einem kulturellen Umfeld, das meiner Person entspricht. Und da zählt der bekannte Kellner, der Lieblingsplatz, der schöne Ausblick, die lieben Bekannten - mehr, als alles andere. Das man ankommt an einem Ort, an dem man sich sehr wohl fühlt. Das ist und bleibt so. So schön die schöne neue Welt auch ist, der Primärnutzen bleibt davon letztendlich unberührt. Das wird einem im Laufe der Zeit bewusst.
Die Technik hat sich in den Vordergrund gemogelt. Und nicht die Musik. Die Convenience Argumente haben mich eine Zeit begeistert und begleitet, aber am Ende geht es mir dann doch um die Musik. Die intensive Zeit mit guter Musik.
Und die Musik braucht meine ganze Aufmerksamkeit, eine Schallplattenlänge mindestens Zeit und einen Ort der zum Musikhören geeignet ist. Gute Musik braucht nur einen guten Zuhörer. Der Musik selbst ist es dabei völlig egal, woher sie kommt, wie sie klingt. Das ist Sache des Hörers. Das ist Sache der persönlichen Kultur. Trinkt man aus dem Glas lieber als aus dem Becher?
Ich wollte wieder „richtig“ Musik hören. Nicht viel, sondern gut. Nicht überall, sondern genau an diesem Ort. Nicht alles, sondern nur das Wenige besonders Gute. Nur Musik und ich. Keine Ablenkung, keine Technik zu viel. Kein Convenience.
Zeit nehmen. Aufstehen, hingehen, Platten aussuchen. Vorfreude empfinden. Schallplatte raus holen. Auf den Plattenteller legen. Von Staubkörnchen befreien. Nadel absenken. Mein Lieblingsknistern vernehmen. Hinsetzen und umhüllt von bezaubernder Musik genießen. Nicht mehr und nicht weniger.
Zur Zeit habe ich nur ein paar Platten. Aber die haben es in sich. An denen kann ich mich gar nicht satt hören. Die kleine Auswahl ist wohltuend, das ist wie die Tageskarte in einem guten Restaurant: Fisch oder Fleisch? Wenn Fisch dann... Das war´s. Weniger ist eben dann doch meist mehr.
Es fällt mir schwer zu beschreiben, was ich wiedergetroffen habe. Was wieder bei mir eingezogen ist. Vielleicht ein sehr guter alter Freund, den ich lange nicht gesehen und gehört hatte und er hat alle seine guten Erinnerungen und Geschichten mitgebracht. Wunderbar. Analog. Echt. Authentisch. Warm. Wohltuend. Sensibel. Wohlklingend.
Ich habe den Ort, den Moment und das Gefühl zurück, was ich so lange vermisst hatte, ohne das ich wusste, was ich vermisst habe. Nun weiß ich es. Die Musik. Nichts als die Musik.
Montag, 23. April 2012
Frei. Freiheit. Freiheiten.
Im Laufe meines Lebens wird mir erst bewusst und klar, was Freiheit überhaupt für mich bedeutet. Für mich persönlich. Der Begriff ist so politisch belegt, dass ich mir lange gar keine persönlichen Gedanken darüber gemacht habe. Die Politik will Freiheit. Freiheit erhalten. Freiheit erringen. Freiheit erzielen. Freiheit verteidigen. Was sie damit genau meint, bleibt eigentlich unklar. Es gibt z.B. Pressefreiheit. Die Formen der politischen Freiheit schaffen mir den Rahmen für meine persönlichen Freiheiten.
Aber die wichtigsten persönlichen Freiheiten bleiben sogar von den politischen weitestgehend unberührt. Die meisten persönlichen Freiheiten bleiben sogar weitestgehend unberührt und ungenutzt.
Persönliche Freiheiten sind eigentlich darauf beschränkt und begrenzt, was man im Rahmen der Gesetzgebung darf. Und im Rahmen von Moral und Ethik. Wir haben die Freiheit, so schnell Auto zu fahren, wie wir wollen. Wir haben die Freiheit zu wählen. Wie haben die Freiheit zu entscheiden. Wir haben die Meinungsfreiheit und derer unzähliger mehr.
Dabei ist Freiheit vor allem ein Gefühl. Wie Sicherheit. Und Liebe. Das Gefühl bestimmt die gelebte Freiheit. Das bedeutet, dass man sich sogar im Gefängnis frei fühlen kann. Freiheit ist vor allem im Kopf. Und Freiheit ist kein Selbstbedienungsladen, in dem man sich die Taschen voll packt, bis jemand stopp sagt. Freiheit ist nicht was man macht, sondern sich die Freiheit zu nehmen, vieles bewusst nicht zu machen.
Unsere wirkliche Freiheit ist eigentlich durch unser Verhalten immer in Gefahr. Vor allem Angst raubt uns das gute Gefühl von Freiheit. Schuld steht dem in nichts nach. Vor allem das Schuldgefühl. Wir sehen, leben und nutzen Freiheiten nicht, weil uns negative Gefühle davon abhalten.
Die gedankliche Freiheit ist die wichtigste und schönste. Die Freiheit wahrhaftig, authentisch, man selbst zu sein. Es sind die vielen kleinen Freiheiten des Tages, die das Leben zu etwas ganz besonders Wundervollem machen.
Für Menschen, die aber in hierarchischem Denk-System groß geworden sind wie ich, ist das mit den persönlichen Freiheiten nicht so einfach. Das muss man wie laufen lernen, erst erlernen. Denn vor meiner Freiheit stehen gesellschaftliche Aspekte wie Pflicht, Gehorsam, Folgen, Befehlen, Anordnen, Verfügen, Anweisen, Verpflichten, Bewerten, Anpassen, Funktionieren, Prüfungen, Leistung, Nachweis, Beweis, Anspruch, Gesetze, Regeln, Ordnung. Die sogenannten Bürgerpflichten. Und die darin bestehenden und gewachsenen systemimmanent hierarchischen Strukturen. Das bedeutet, deren Freiheit gehen solange vor, bis ich an der Reihe bin. Eine Art Befehlskette der persönlichen Freiheit.
Da ich überhaupt nicht in hierarchischen Systemen denken und handeln kann, kam ich in diesen auch nie zurecht. Der Gedanke allein, ich ich würde in einem Konzern arbeiten oder in einem Amt oder in einem anderen hierarchischen System treibt mir schon den Schweiß auf die Stirn. Das ein System über meine Freiheit entscheidet. Wann die dran ist. Wie ich diese auszuüben haben. Das alles kann ich psychisch nicht ertragen und körperlich nicht bewältigen.
Meine Versuche auch in solchen Systemen erfolgreich zu sein, sind gescheitert. Diese haben mich zudem krank gemacht. Ich bekam eine Neurodermitis, Magen-Probleme und war cholerisch. Und einige andere Nebenwirkungen mehr. Gerne wäre ich in einem dieser großen Systeme größer geworden. Aber es war schnell klar, dass dieses Unterfangen für beide Seiten nicht sinnvoll wäre.
Meine Vorstellung nach persönlicher Freiheit. Mein Wunsch nach Selbstbestimmung. Meine Sehnsucht nach der Freiheit der Gedanken. Für alles das ist in hierarchischen Systemen kein Platz. Aus gutem Grund.
Aber es brauchte Jahre bis ich meine Programmierung erkannte. Bis ich diese in Frage stellte und wirklich anfing meine Wünsche auch in meinem Mittelpunkt zu stellen. Eigentlich habe ich erst in den letzten Jahren begriffen, was persönliche Freiheit überhaupt bedeuten könnte. Erst in den letzten Jahren habe ich wirklich ernsthaft angefangen, Freiheit wirklich zu wagen.
Das viel mir nicht leicht. Denn das System in meinem Kopf, wie man in dieser Gesellschaft zu funktionieren hat. Wie man Anerkennung, Status, Geltung und Bewunderung erhält. Liegt wirklich diametral dem gegenüber was ich nun Schritt für Schritt erlebe.
Ich lerne die vielen kleinen Freiheiten zu leben. Die mir das Gefühl einer sehr großen persönlichen Freiheit vermitteln. Und meine Gehversuche sind manchmal wirklich komisch. Das ist so, als ob man 20 Jahre in einer Zelle genau 4 Meter x 3 Meter als Bewegungsfreiheit hatte und nun steht man in Freiheit und man hat das Gefühl,wenn ich nur einen Meter weiter als diese gewohnten 4 Meter gehe, dann passiert was Schreckliches.
Ich habe es heute Morgen z.B. nicht geschafft zu frühstücken. Bin aber trotzdem pünktlich im Büro gewesen. Dann habe ich mir gedacht. Spinnst du? Das Frühstück ist wichtig. Es gibt dir Energie für den Tag. Also, du gehst jetzt in ein Café bestellst dir ein Frühstück und dann gehst du ins Büro. Ich kann mir diese Freiheit auf Grund meiner Lebenssituation nehmen. Aber ich traue es mir eigentlich im weit überwiegenden Teil meines Lebens nicht. Ich verhalte mich wie ein Mini-Konzern.
Was besonders bescheuert ist. Denn der Gewinn meiner Lebensform ist die Freiheit. Denn dafür muss ich einen Totalverlust an Sicherheit in Kauf nehmen und verkraften. Das kann ich komischerweise seit 20 Jahren ohne Problem. Selten weiss ich, womit ich in 2 oder 4 Monaten mein Geld verdiene. Aber es hat immer irgendwie funktioniert in den letzten 20 Jahren. Da habe ich ein Urvertrauen. Das es immer irgendwie schon gut weiter geht.
Aber gleichzeitig lebe und nutze ich den emotionalen Gewinn meiner Lebensform nicht. Falsch! Habe ich nicht genutzt. Seit einiger Zeit lerne ich, diesen zu nutzen. Ich gehe einfach mal eine Stunde früher aus dem Büro und gehe joggen. Ich verplappere mich im Café und bleibe einfach mal eine Stunde länger sitzen. Während der Arbeitszeit nehme ich mir Auszeiten und höre Jazz. Schreibe. Lese. Surfe im Internet. Ich suche und finde alles mögliche. Ich interessiere mich. Und folge diesen Interessen.
Meine Definition von Produktivität hat sich geändert. Der Faktor persönliche Freiheit verändert diesen sehr stark und sehr positiv. Mein Betriebsmodus ist von reinem Output umgestellt worden auf 50% Input und 50% Output. Die am Anfang beschriebene Befehlskette geht nun nicht mehr nur von meiner Umwelt aus, sondern mehr und mehr von mir. Aktiv.
Ich lerne persönliche Freiheiten wirklich zu erkennen, umzusetzen und wertzuschätzen. Und das Großartigste daran, alles wird noch besser. Irgendwie bringt die Fähigkeit zur Selbstbestimmtheit nur Positives mit sich. In allen Bereichen des Lebens. Magisch. Es ist wirklich magisch.
Ich lerne meine Freiheit als die wichtigste und wesentliche zu betrachten und plötzlich verändert sich alles, so wie ich es eigentlich immer wollte. Aber nie hin bekommen habe. Ich komme mir selbst immer näher und näher. Ein guter und schöner Weg, den ich da beschreiten darf und kann. Danke.
Freitag, 20. April 2012
Lebenswege. Vom fahren, überholen, bremsen, abbiegen und verfahren.
Irgendwann biegen wir plötzlich ein in diese Straße. Das Auto voller Menschen. Wir am Steuer. Eine neue, andere Straße. Ein neuer Lebensweg. Lebensabschnitt. Einige wollen und müssen hier aussteigen. Weiter geht die Fahrt. Dann ahnen wir, es könnte sich eventuell um eine Einbahnstraße handeln. Aus dem könnte, wird langsam ein wissen. Wir bemerken es natürlich nicht gleich. Denn gerade noch fuhren wir auf einer dieser breiten mehrspurigen Hauptstraßen. Was hat uns bewogen, abzubiegen. War es uns zu voll. Wollten wir eine Abkürzung nehmen? Irgendwas war es. Man hat es nur schnell vergessen. Weil dieser neue Weg einem die volle Aufmerksamkeit abverlangt. Eigentlich war es auf der großen, breiten, hellen Hauptstraße viel angenehmer. Das wird einem aber erst bewusst, wenn man mal auf so eine kleine Nebenstraße abgebogen ist. Aber diese wird doch sicherlich zu einer anderen Hauptstraße führen oder zu derselben, von der man kam. Wir rechnen auch damit, dass es sicher gleich rechts oder links wieder raus geht. Aber da kommen keine Straßen. Komisch. Dann fällt uns auf, dass die Autos rechts wie links in dieselbe Richtung parken. Auch die Beschilderung ist nur in Fahrtrichtung ersichtlich. Wir gewinnen die Gewissheit:«Das ist eine Einbahnstraße.» Okay. Das kann ja mal passieren. Ist ja nicht so schlimm, diese führt am Ende ja wieder auf eine andere Straße. Seit einiger Zeit fahren wir nicht mehr entspannt und gelassen, sondern nervös und gehetzt. Jetzt sind wir schon so weit gefahren, dass wir nicht mehr einfach zurück setzen können. Umdrehen in einer Einbahnstraße geht ja auch nicht. Darum werden wir immer hektischer und hoffen inständig, dass am Ende der Einbahnstraße es wieder auf ein andere Straße geht. Es muss so sein. Eventuell auf eine Kreuzung. Kann auch eine kleine sein. Hauptsache raus aus der Einbahnstraße. Aber die Straße wird zunehmend enger und enger. Dunkler. Und die Häuserfluchten höher. Die Wohngegend wird übler. Beängstigend. Nun parken nur noch auf der rechten Seite Autos. Schon bald, parken gar keine Autos mehr in der Straße. Panik kommt auf, das Herz rast, man spürt den Puls im Hals schlagen.Der Blick nach vorne verheisst nichts Gutes. Gar nichts Gutes. Nach diesem langen Weg. Plötzlich sind auch die Gehwege verschwunden. Die Straße endet hier. Schluss. Es geht nicht vor und zurück. Sie ist genau so breit wie das Auto. Die Türen lassen sich nicht mehr öffnen. Wir hupen. Wir rufen. Nichts. Die Spritanzeige leuchtet auch schon seit einiger Zeit. Kein Handy-Empfang. Nichts.
Und dann versuchen wir uns zu erinnern. Dafür müssen wir uns erst mal beruhigen. Was uns kaum gelingt. Wir waren auf so einem guten Lebensweg. Was um Gottes Willen hat uns bewogen abzubiegen? Gottes Willen? Warum? Wann sind wir in diese Straße abgebogen und warum. Sind wir überhaupt abgebogen, mussten wir? Was waren die Beweggründe? Der Grund. Verdammt was war der Grund. In Gedanken gelangen wir zu genau dieser Kreuzung zurück. Und dann sehen wir, was wir übersehen haben - Das Schild: Sackgasse. Fuck.
Mittwoch, 4. April 2012
Ich schlafe mit jungen Frauen.
Jetzt ist es raus. Jeden Tag. Fast. Nicht am Wochenende. Morgens und Abends. Im Schnitt 2 x am Tag. Dann schlafe ich mit wechselnden jungen Frauen. Selten, dass es 2 x dieselbe ist. Und ich kann nichts dagegen tun. Auch wenn ich wollte. Die einen denken jetzt: «Wie kann er das nur tun in seiner Lebenssituation?» Andere denken sich jetzt: «Recht hat er, du lebst nur einmal! »
Ich kann nur sagen: «Dagegen kann ich nichts machen. Auch wenn ich wollte. Da bin ich machtlos. Ich muss mit jungen Frauen schlafen. Ob ich will oder nicht.» Okay, ich könnte sie wecken. Aber das macht man Morgens und Abends doch nicht im Zug. Einfach aufwecken. Da ziehe ich es vor, mit ihnen zu schlafen. Obwohl ich selbst dabei nicht schlafe. Kein Auge kann ich zumachen. Manchmal schlafe ich auch mit Männern. Mit älteren Frauen. Ich schlafe mit allen, die schlafen. Im Zug schlafen viele Menschen. Kaum sitzen sie, schlafen sie ein.
Oft sieht das unmöglich aus. Vor allem bei Männern. Die röcheln, schnarchen und sehen übel dabei aus. Oft stinken sie auch noch. Schlafende Männer im Zug sind kaum zu ertragen. Schlafende Frauen dabei wesentlich besser. Nicht alle. Aber wenn junge, hübsche Frauen ihren Kopf an das Zugfenster gelegt haben und so vor sich hin schlafen, dann hat das was Friedliches und bisweilen auch Erotisches. Wenn sich das zweite Gefühl einschleicht, dann setze ich mir meine Kopfhörer auf und höre Musik oder lenke mich anderweitig ab.
Das Aufwachen oder die Ticketkontrolle sind bei diesem Akt im Zug besondere Momente. Denn dann erkennt man viel vom dem Typ Mensch. Menschen, die aus dem Schlaf gerissen werden, um ihr Ticket vorzuzeigen, zeigen dabei sehr persönliche Eigenarten. Auch wenn es an das Aussteigen geht. Das Beobachten dieser Persönlichkeitsmerkmale macht einen irgendwie zum Spanner. Was heisst irgendwie. Aber was soll man den tun, wenn jemand nur Zentimeter von einem entfernt aufwacht. Wie soll man da weg schauen. Es nicht bemerken. Das ist fast unmöglich.
Ich schlafe nicht im Zug. Meine Energie ist auf 220 Volt. Morgens, Mittags und Abends. Es verwundert mich, wie viele Menschen sofort in Stand By Stellung verfallen. Wie der wenige Energiehaushalt, sofort auf Niedrigverbrauch-Modus umstellt und diese Menschen in den Schlaf fallen lässt. Was strengt so an, dass man in der ersten Ruhestellung fast ohnmächtig weg schlummert?
Egal, so lange ich Zug fahre, muss ich mich eben daran gewöhnen, mit fremden Menschen zu schlafen. Es gibt schlimmeres. Schlimmer wäre es sicherlich, wenn alle so wach wären, wie ich. Oh mein Gott und das schon morgens, das wäre unerträglich. Moment mal, da kommt mir ein Gedanke. Vielleicht schlafen die ja gar nicht, sondern die stellen sich nur schlafend bei meinem Anblick.
Montag, 2. April 2012
Nicht lange her.
Da hat man noch aus dem Radio auf Kassetten aufgenommen und ist verrückt geworden, wenn der Ansager kurz vor Ende des Songs reingequatscht hat. Dann war die ganze Aufnahme für´n Arsch. Zurück spulen und auf den nächsten Song warten.
Da haben wir auch noch die B-Seite von Schallplatten gehört. Obwohl bei manchen nie. Vor allem bei Singles. Oder weiss jemand was auf der B Seite von „Bobby Brown“ war?
Da haben wir Brieffreundschaften mit einem Mädchen aus Frankreich gehabt. Und so haben wir uns alle 6 bis 8 Wochen einen handschriftlichen Brief geschrieben. Isabelle Labonde hieß meine.
Da hatte das Telefon eine Wählscheibe, war an der Leine und die Eltern machten ein Schloss daran, damit es nicht so teuer wurde. Und daneben lag das obligatorische Kunstleder-Telefonverzeichnis.
Da holte man das Telefonbuch noch selbst bei der Post ab. Und schlug sofort seinen eigenen Namen auf und betrachtete den Eintrag voller Stolz.
Da hatte das Fernsehen 3 Sender. Und keinem viel auf, dass dies wenig sein könnte. Der Höhepunkt der Woche war eine Sendung Namens „Disco“ und alle riefen mit wenn er schrie: „Licht aus...wommm...Spot an...“
Da sprach man Montags über Dalli Dalli, Am Laufenden Band, Der große Preis und wie sie alle hießen.
Da durfte man beim Fußball zum Torwart zurück passen. Da spielten nur die Landesmeister auch im Landesmeister Pokal.
Da wusste kaum jemand, was eine Mango, Papaya, Kiwi und Litschi war. Ich schon gar nicht.
Da stand im Kühlschrank Tri-Trop und Cappy. Man aß Raider und Treets Schokoklicker.
Da gab es im Fernsehen Werbung für Zigaretten. Und es wurde in jeder Sendung geraucht. Und in jedem Film. Und im Auto und im Zug und im Flugzeug und im Restaurant und überall, wo ein Mensch und eine Zigarette reinpassten.
Da waren Ehepaare, die geschieden waren eine absolute Seltenheit. Frauen, die einer Arbeit nachgingen, auch. An Frauen in Führungspositionen kann ich mich gar nicht erinnern.
Da war die einzige nackte weibliche Haut, die man zu sehen bekam in der Brigitte, Petra und für Sie. Wenn man das Glück hatte, dass es um Unterwäsche ging. Schlüpfer wie meine Mutter dazu sagte.
Da machte der erste MC Donald in Deutschland auf und der erste IKEA. Dem Wienerwald ging es schon damals den Umständen entsprechend nicht so gut.
Da hat man sich Bundestagsreden im Fernsehen angesehen, in Schwarz/Weiß. Obwohl der Rest der Welt schon bunt war. Und die Politiker hatten etwas zu sagen und sich gegenseitig auch.
Da gingen alle paar Monate gefühlte Millionen auf die Straße demonstrieren. Gegen alles das, was nun wirklich nicht sein musste.
Da starben Elvis und John Lennon. Und Jim Morrison. Und ein wenig später Freddy Mercury. Nein, das war deutlich später.
Da haben Fussballtrainer am Spielfeldrand geraucht. Spieler in der Halbzeitpause auch.
Da waren unsere Eltern noch so unglaublich jung. Jünger als wir jetzt sind. Da waren wir noch Kinder. So alt wie unsere Kinder jetzt sind. Das aktuelle Sportstudio gab es damals schon. Und die Torwand war schon damals einer der Höhepunkte. Aber alle waren so unglaublich jung. Und die Jungen, die es jetzt gibt, die gab es da noch gar nicht. Natürlich.
Aber manchmal wundere ich mich, wen und was die jungen Menschen alles überhaupt nicht kennen. Wahnsinn denke ich dann, wie kann man das nicht wissen. Bis mir dann einleuchtet - wie denn auch.
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