Mittwoch, 21. Oktober 2009
Zeitzeichen
Ich weiß nicht mehr wann, aber irgendwann bekam ich meine erste Armbanduhr. Ich denke, es war eine Timex oder eine Seiko. Sie hatte im Dunkeln leuchtende Streifen, daran kann ich mich noch erinnern. Jedenfalls ist der Blick auf die Uhr ein Bewegungsablauf, der sehr viel Zeit in Anspruch genommen hat. Wie oft und wie lange hat man auf Uhren geschaut, um die Zeit zu erfahren. Manchmal mit triftigem Grund, meistens völlig grundlos.
Überall sind Uhren. Überall steht die Zeit. Ständig begleitet uns unsere Zeitrechnung. Ständig leben wir in dem Gefühl, die genaue Zeit zu kennen. Zudem werden wir ständig nach der Zeit gefragt. Deshalb fragen auch wir ständig nach der Zeit. Wie spät ist es? Wie viel Uhr ist es? Wie lange noch? Es gibt Zeiten, da kommt man an - Ankunftszeiten. Und dann gibt es Zeiten, da reist man ab - Abfahrtszeiten. Dann gibt es Zeiten, da verweilt man für eine bestimmte Zeit an einem Ort - Ortszeiten. Ständig sprechen wir über die Zeit, wie lange diese war oder wie kurz. Wann genau diese war. Wir teilen vieles in Zeit ein - Zeiteinheiten. Man ist 11 Jahre verheiratet. Die Kinder sind x Jahre alt. Man hat 6 Monate keinen Führerschein. Man wartet schon 30 Minuten. Man ist 15 Minuten hinter der Zeit. Der Wecker klingelt zu einer bestimmten Zeit.
Und von Zeit zu Zeit müssen wir uns über die Zeit vergewissern, obwohl es immer dieselbe Zeit ist, denn es ist immer genau jetzt. Ein Film dauert 120 Minuten. Ein Fußballspiel 90 Minuten plus Nachspielzeit. Ein Ei kochen dauert 5 bis 8 Minuten. Das Leben besteht aus Zeiten. Das ganze Leben. Dann gibt es noch die Arbeitszeit und die Freizeit, aber eigentlich ist auch das alles dasselbe, nämlich Lebenszeit.
Männer neigen dazu, sich so teure Zeiteisen, wie es nur geht, um das Handgelenk zu legen, weil der Schmuck, den sie tragen können, ohne dass es ganz peinlich wird, sich eigentlich auf Armbanduhren beschränkt. Teure Zeitzeichen sind ein Zeichen von Wohlstand, Status, Individualität und Geltungsdrang. Es gibt Armbanduhren für 4,99 EUR und für 55.000 EUR. Aber alle können im Prinzip nur dasselbe - die Zeit zeigen. Auch ich bin von diesem Männertrend nicht ganz verschont geblieben. Auch ich hatte eine Zeit, in der ich zeigen wollte, wie gut ich bin. Aber das ging vorbei. Nicht, weil mich teure und schöne Uhren nicht mehr interessieren, aber ich habe meine Eine gefunden und dafür alle anderen liegengelassen oder ihnen keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt. Ich bin in Sachen Armbanduhren nicht nur monogam, sondern auch fest dazu entschlossen, sollte diese Uhr mal nicht an meinem Armgelenk sein, aus welchen Gründen auch immer, dass diesen Platz nie wieder eine andere einnehmen wird.
Das ist sie, das war sie und somit ist für mich das Kapitel beendet. Denn es erscheint mir ohnehin als ein größeres Privileg, zeitlos zu sein und durchs Leben zu gehen. Gerade Menschen ohne Uhr und ohne Handy bewundere ich auf seltsame und unübersehbare Art und Weise. Weniger scheint auch hier letztendlich spürbar mehr zu sein.
Meine innere Uhr beeindruckt mich ohnehin. Oft wundere ich mich über mein exaktes Zeitgefühl. So wache ich grundsätzlich genau 1 Minute, bevor der Wecker klingelt von selbst auf, um diesen auszuschalten. Mein Zeitgefühl verlässt mich selten. Und falls doch, sind die Gründe dafür nachvollziehbar. Das mit den Stunden, Minuten und Sekunden kann ganz schön anstrengend werden. Deswegen erscheint es auf meinem langen Lebensweg zur Gelassenheit auch nur logisch, dass der Zeitpunkt kommt, da ich nur noch von einer Zeit rede und auch nur noch in einer lebe - im Jetzt.
Freitag, 9. Oktober 2009
Beziehungskiste
Ich möchte mal über meine Beziehung zu meinem Briefkasten schreiben. Früher hatten wir ein tolles Verhältnis miteinander. Denn außer Urlaubsgrüße oder Geschenke und Paketkarten hat unsere Beziehung nichts belastet. Dann, im Laufe der Jahre, stellte sich plötzlich der „blaue Brief“ ein. Das war die erste Begegnung mit dem Briefkasten, die ganz klar sagte: "Ich kann auch anders." Um das Problem in den Griff zu bekommen, bekamen wir den Briefträger in den Griff. Der nur mir persönlich einen solchen „blauen Brief“ aushändigte. Diesen habe ich dann unter Wasserdampf fein säuberlich geöffnet und erst mal durchgelesen. Die ungefährlichen habe ich dann wieder verschlossen und auf den Poststapel gelegt. Dann gab es die zweite Kategorie der erklärungsbedürftigen blauen Briefe. Auf die konnte ich mich sehr gut vorbereiten, weil ich den Inhalt schon kannte. Und dann gab es die dritte Kategorie derer, die nicht zu erklären waren. Diese fielen dann unter den Tisch. Das klappte sehr gut.
Aber unsere Beziehung trat in eine neue Dimension ein. In meiner ersten eigenen Wohnung wurde aus dem lockeren Verhältnis der Vergangenheit leider schnell ein sehr verkrampftes. Von Freitag bis Montag Morgen würdigten wir uns keines Blickes. Denn ich wollte mir von "so einer Rechnung" oder was auch immer, nicht das Wochenende versauen lassen. Nun trat unsere Beziehung in eine sehr unterkühlte Phase ein.
Genau in dieser Phase kam noch ein neuer Trend auf, die Werbung in der Post. Diese nahm schlagartig zu. So, dass der Papierkorb unter dem Briefkasten im Hausflur, der sonst einmal im Monat geleert wurde, plötzlich wöchentlich überquoll. Zwischen diesen ganzen unsinnigen und überflüssigen Werbebotschaften versteckte sich dann die Post. Was in der Regel mehr negative Überraschungen zum Vorschein brachte. Die Bank, die Verkehrsdelikte, die Rechnungen, die Eltern. Alle wollten etwas, was ich nicht immer im Stande zu leisten war. Somit war der nette Briefkasten von früher plötzlich ein sehr anstrengender Lebenspartner, der eine Hiobsbotschaft nach der anderen für mich bereit hielt und zudem zugemüllt von Werbung war.
Schön waren die Freieinweisungen von Zeitschriften, welche mich privat erreichten. Als es diese noch gab. So hatte man reichlich was zu sehen, lesen und blättern. Dann verschärfte sich die Beziehung und mutierte zu einer echten Beziehungskiste.
Man respektierte sich, hatte sich aber nichts mehr zu sagen. Kein freundliches Wort, auf und zu, das war´s. Die härtesten Jahre hatten wir von 2003 bis 2007. Wenn man sich hätte scheiden lassen können, hätten wir es sicher in dieser Zeit getan. Wie lieblos schon mein Name draufgekritzelt war. Das war doch ein klares Zeichen. Auf die Farben „Gelb“ und „Grau“, dieses „Mittelgrün“ reagiere ich noch heute heftig. Das war eine dunkle und schwere Zeit für uns beide. Denn eigentlich überbrachte er nur noch schlechte Botschaften. Durch die Bank.
Im Laufe der Jahre ist unser Verhältnis als neutral zu beurteilen. Wir wissen, dass wir miteinander leben müssen. So oder so. Und dass er ja im Prinzip nichts dafür kann. Er ist nun mal so, wie er ist. Briefkastentherapien verliefen wirkungslos. Das liegt an der unglaublichen Ignoranz meines Briefkasten. Und er kann nicht mal was runterschlucken oder einfach mal stecken lassen. Aber er kann nicht nur austeilen, sondern auch ganz gut einstecken. Trotzdem würde ich unser Verhältnis als vergiftet bezeichnen. Dafür ist in der Vergangenheit einfach zu viel passiert.
Eine leider ähnliche Entwicklung nahm der Anrufbeantworter vor einigen Jahren. Eigentlich ist das mehr eine Vorwurfsmachine, die einem ständig klar macht, wen oder was man mal wieder nicht erreicht hat. Deshalb habe ich den Anrufbeantworter einfach kurzer Hand vor die Tür gesetzt. Das Telefon selbst entwickelt auch von Zeit zu Zeit dieses negative Potential. Diese unglaublich negative Energie, die ich echt nicht gebrauchen kann. Denn ich brauche meine Energie voll und ganz für mich. Nicht für so ein kleines Ding am Ohr. Deshalb steht das Telefon unter besonderer Beobachtung, wie mein Verhältnis zum Fernseher. Das würde ich auch mal als durchwachsen beschreiben.
Zurück zum Briefkasten, dem kleinen Kerl mit der großen Klappe. Der einfach voller negativer Botschaften und unglaublich viel Werbemüll steckt. Gerne denke ich noch an die Zeit zurück, als man 3x täglich hinein schaute, weil man voller Ungeduld auf einen Brief, eine Karte eine Nachricht wartete. Und diese auf sich warten ließ. Mit wie viel Erwartungshaltung man diesen kleinen Schlüssel ins Schloss steckte, ihn behutsam umdrehte, damit man ihn bloß nicht abbricht. Und dann das Türchen ebenso liebevoll öffnete. Und? Wieder nichts. Noch immer nichts. Und dann endlich - da lag das Objekt der Ungeduld. Diese Zeiten sind so gut wie vorbei. Vereinzelt blitzt dieses Gefühl noch mal auf. Aber die Summe der Enttäuschungen ist dann doch zu groß.
Freitags haben wir immer noch ein ganz schlechtes Verhältnis, was man sich schlechter nicht vorstellen kann. Weil er sich immer noch einen Spaß daraus macht, mir das Wochenende zu versauen. Aber weil ich damit rechne und ihm selbst einfach keine böswillige Absicht mehr unterstellen will, haben wir damit leben gelernt.
So kann es laufen.
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