Donnerstag, 18. September 2008
Bankwahl
Wenn wir weit in unsere Erinnerung zurückgehen, dann finden wir da einen Moment, der sehr viel über die Persönlichkeit und den Charakter von Menschen aussagt. Einen Moment, der für die Einen tiefste Demütigung bedeutet und für die wenigen Anderen der Respekt und die Bestätigung ihrer Persönlichkeit und ihres Charakters.
Dem Großteil dazwischen wird dieser Moment nicht mehr viel bedeuten oder ist aus der Erinnerung gänzlich verschwunden. Von der 5ten bis zur 13ten Klasse trug es sich zu. Es geschah wöchentlich im Sportunterricht. Irgendwann kam der Moment, wo für die Zusammenstellung von Mannschaftssportarten 2 bis 4 Personen vom Lehrer bestimmt wurden, welche jeweils Mannschaften wählen sollten. Einer fing an und dann ging es immer der Reihe nach.
Somit lichteten sich allmählich die Reihen auf der Turnbank, denn mit jeder Wahl wurde ein weiterer Schüler einer Mannschaft zugeordnet. Bis nur noch einer übrig blieb, der dann der letzten Mannschaft mehr zugeteilt, denn durch eine Wahl zugeordnet wurde.
Über diesen Moment habe ich lange nicht sinniert, weil ich zu denen gehörte, die immer damit beauftragt wurden, eine Mannschaft zu bilden. Somit war mir die Demütigung des Letzten nicht bewusst. Obwohl mir von Zeit zu Zeit ins Auge fiel, dass es immer der- oder dieselbe waren.
Rückblickend frage ich mich, was mit den Gedemütigten passierte, was sich ihnen aufstaute, welches Trauma sie davon trugen. Oder ob das alles Woche für Woche spurlos an ihnen vorüber gegangen war? Ob in ihnen etwas entstanden ist, das für immer Rache geschworen hat für diese Demütigung? Ich denke ja. Genau diese Menschen haben sich in ihrer Fantasie ausgemalt, wie sie es allen heimzahlen können.
Zeit genug, perfekte Pläne zu schmieden hatten sie ja. Und der Stachel des Schmerzes saß sicher tief genug. So dass sie sich zeitlebens dafür revanchieren konnten – mussten. Ich nenne diese Menschen rückblickend „Torwarte“. Weil genau die als letztes Gewählten sich in der Regel im Tor aufstellen bzw. wiederfinden durften. Oder an anderen Stellen, an denen sie den Spielfluss so wenig wie möglich tangieren konnten.
Den Lehrern war das alles nicht bewusst. Anstatt das Ritual der Wahl ständig zu verändern, setzten sie diese Menschen Woche für Woche derselben Situation aus. Und als Dank dafür bekamen sie dann noch eine 5 in Sport.
Das Beispiel zeigt, was wir nicht sehen und nicht fühlen. Was wir anders wahrnehmen und anders empfinden, kann bei anderen Menschen ein Trauma auslösen. Und keiner bekommt das so richtig mit. Und alle wundern sich, was für Rachegelüste diese Menschen an der Gesellschaft haben. Dass sie es geradezu auskosten, wenn sie das alles Stück für Stück in ihrer Art der Gesellschaft zurückzahlen können. An welchen Positionen sitzen solche Menschen? Bis wohin haben sie es geschafft? Von welcher Warte aus zahlen sie es uns zurück?
Ich glaube von weit oben, von viel weiter oben, als man es gemeinhin glaubt. Wir werden regiert, geführt und geleitet, gemanagt, befohlen und unterwiesen von Menschen, die bis zuletzt auf der Bank saßen. Und deren einziger Antrieb ist es – Das zahle ich euch zurück.
Wie ich darauf komme? Weil ich es an deren Stelle genau so tun würde. Aber ich bin nicht an deren Stelle, sondern auf der anderen Seite. Und das könnte der wesentlich kürzere Hebel in unserer Gesellschaft sein. Und am Längeren sitzen die Torwarte.
Mittwoch, 10. September 2008
Wegeschreibung
Mit zunehmendem Alter findet ein Systemabgleich statt. Wo steht man? Wohin wollte man eigentlich? Wohin will man? Was ist bis dato geschehen? Was haben andere erreicht? Was haben die besser oder schlechter gemacht? Bin ich eigentlich auf dem richtigen Weg?
Fragen über Fragen, deren Beantwortung eigentlich leicht sein müsste. Aber nicht ist, denn zu viel ist passiert. Zu viel hat den Weg beeinflusst. Somit finde ich mich immer häufiger in Situationen in Form von Gesprächen wieder, die eine Art Positionsbestimmung darstellen. Meist die von anderen Menschen. Diese Gespräche bringen aber auch mich zum nachdenken. Man kann sagen, dass es 2 Primär-Schwerpunktthemen gibt: Partnerschaft und Kinder. Und dann gibt es noch 2 Sekundär-Themen: Wie und womit verdiene ich meinen Lebensunterhalt und lebe ich am richtigen Ort. Und es gibt noch einen Themen-Klassiker: die eigenen Eltern und Geschwister.
Mit der Zeit habe ich schnell rausbekommen, dass die Wahl des Themas die eigentliche Antwort auf die damit verbundene Frage mit sich bringt. Stellt sich jemand die Frage, ob die Berufswahl die richtige ist, dann ist sie es natürlich nicht. Denn wenn es die richtige wäre, würde man es nicht zum Thema machen, sondern ein anderes wählen.
Das sinnieren darüber rückt das eigentliche Problem in den Mittelpunkt, somit ist eine Lösung in greifbarer Nähe – könnte man denken. Weit gefehlt. Anstatt die Lösung in Angriff zu nehmen, wird nun erst man das Problem in epischer Breite, Tiefe und Höhe ausgebreitet und ausgerollt. Glücklicherweise findet man auch schnell Menschen, die dasselbe Problem vor der Brust haben. Somit rollen auch die das Thema im selben Großformat aus. So wird über Jahre das eigentliche Problem seziert. Bis in seine Atome. Aber der Lösung kommt man keinen Millimeter näher. Alle Betrachtungswinkel des Problems werden gesucht und gefunden und zum Glück tun sich immer wieder Neue auf.
Mit dem Problem leben, ist dann doch leichter, als die Lösung anzupacken. Es ist dann doch wie bei dem Film „Dinner for one“, in dem der Butler immer und immer wieder über diesen Tigerkopf stolpert, der in seinem Weg auf dem Boden liegt. Anstatt diesen bei Seite zu räumen. Oder einen anderen Weg zu beschreiten, der das Problem umgeht.
foto: peter von felbert
Dienstag, 9. September 2008
Abhängig
Wie abhängig man ist, stellt man erst genau in dem Moment fest, wenn man etwas nicht mehr hat. Oder etwas nicht mehr geht. Oder etwas nicht mehr da ist. Bis dahin ist einem die Abhängigkeit nicht bewusst. Zudem glaubt man in einem Anflug von Überheblichkeit, dass es schon nicht so schlimm sein wird.
Wenn zum Beispiel mein DSL nicht mehr geht, keine Internetverbindung mehr möglich ist und keine E-Mails mehr die Seiten wechseln können, dann bricht ein System zusammen. Dann geht nichts mehr. Dann wird einem bewusst, wie abhängig man wirklich ist. Erstes Indiz ist die sofort aufkommende Aggressivität. Fast wie bei einem Junkie, dem man das Dope wegnimmt. Was heißt hier fast, es ist wie.
In meinem Fall verhindert das ein ganzes Geschäftsmodell und ich muss sofort umdenken. Kein DSL ist für meine Arbeit, wie keine Luft bekommen. Wie lange kein DSL? Die Verantwortlichen wissen auch nicht, woran es liegt, dass kein Signal meinen Rechner erreicht. Es gibt auch keine verbindliche Aussage. Das kann schnell gehen oder dauern. Nichts Genaues weiß man nicht.
Außer Kontrolle. Das kommt noch dazu. Es gerät außer Kontrolle. Wann meinem Geschäftsmodell wieder Luft zugeführt wird, weiß man nicht. Schnell erscheint einem das Geschäftsmodell wie das eigene Lebensmodell. Das bringt mich um. Wenigstens um den Verstand.
Und dann kommen mir zwei Gedanken in den Kopf. Das ist doch ein guter Grund, einfach mal alles andere zu machen, für das man kein DSL benötigt. Oder einfach mal die Seele baumeln zu lassen. Oder den Standort zu wechseln. Einen Übergang zu konstruieren. Der meinen Zugang sicherstellt. Beides ist denkbar, somit auch machbar. Aber es ist schon ein seltsames Gefühl, wenn einem eine technische Abhängigkeit so vor Augen geführt wird. Es ist eigentlich nicht gut. Es sicher nicht gesund. Ich fühle, dass ich diese Art von Abhängigkeiten mehr und stärker reduzieren muss. Es kann nicht sein, dass ein nicht eingehendes Signal so einen Einfluss auf mein Leben nimmt. Da muss ich an meiner Gelassenheit arbeiten oder an einer technischen Option, die mich unabhängiger macht.
Mittwoch, 3. September 2008
Niveau
Spät komme ich aus dem Büro nach Hause und schalte den Fernseher ein, um ein paar News mitzubekommen. Leider geht das Ding nicht dort wieder an, wo man es ausgeschaltet hat, sondern immer beim Ersten. Was die wohl dafür bezahlt haben? Jedenfalls wird gerade so unerträglich reißerisch ein Trailer beworben, dass ich denke, ich sei bei den Privaten.
Nein, es stimmt, das gute, alte Erste, die ARD, die Absolut Rückständigen Direktorate, der Sender mit dem Bildungsauftrag, wofür er die GEZ kassiert, der mit mehr Anstalten als Bundesländer, sendet jetzt wirklich Werbetrailer powered by Marktschreier. Und das nach 20:00 Uhr in der werbefreien Zone.
So ist das mit der Vielfalt. Wenn wir nur lange genug warten, passen sich die verschiedenen Ausprägungen immer mehr einander an. Und das leider immer von der höheren Ebene zu einer niedrigeren. Ein Naturgesetz. Blanke Physik. In diesem Fall z.B. ARD folgt seinem Vorbild SAT1 im Irrglauben in deren Kernzielgruppe wildern zu können.
Beim Ermitteln der Quoten, dem modernen Fallbeil, das über Leben (online) oder Tod (offline) entscheidet, sollten mal die Wechselseher ermittelt werden. Dann sähen die Theoretiker ganze Heerscharen von bildungswütigen ARD-Sehern frustriert über Sat1 zu RTL 2 wandern, bis sie nachts um 03:00 beim Sportquiz im Telefonfernsehen landen.
Noch schlimmer im wirklichen Leben: Kommen wir mit Menschen verschiedenster Entwicklungsstufen zusammen, werden sich auf Dauer immer diejenigen durchsetzen, vor deren Umgang uns unsere Eltern immer gewarnt haben. Ganz nach Groucho Marx, der über die P1-Türen seiner Zeit spottete: „ In einem Club, die mich als Mitglied aufnehmen, möchte ich kein Mitglied sein.“
Doch es gibt Abhilfe. Wir können uns gegen diesen System immanenten Verfall wehren. Das bedeutet, Fernseher aus, Buch auf. Auto in die Garage, raus aufs Fahrrad. Nicht warten, tun. Aktiv sein, statt passiv, etwas unternehmen, statt zu chillen und sich v.a. mit den Leuten zu umgeben, die einem gut tun, die einen voran bringen. Dafür sich von denen zu trennen, die einen runterziehen, die einem schlechte Schwingungen bereiten. Und wer genau in sich hinein hört, weiß auch, wer das ist.
In Beziehungen beispielsweise hilft auch kein „Ich werde mich ändern“. Denn dann ist es bereits zu spät. Viel zu spät. Wer sich wirklich ändern will, seinen Partner, seine Freunde, seine Mitmenschen voranbringen will, hat keinen Gesprächsbedarf. Er tut es einfach. Permanent, merklich, einfach.
Dann und nur dann kann man nicht nur sich, sondern auch andere auf ein höheres Niveau bringen. Durch Anstrengung (Aktivität), durch Arbeit (Tun), durch Altruismus (Fürsorge).
Das ist ja das Schöne an unserer neuen Welt. Wir bekommen den magischen Spiegel vorgehalten. Sind wir wirklich schon so tief gesunken, wie uns die Sender bedienen? So dämlich, wie uns der geile Geiz glauben macht? Ja, so ist es. Die Masse ist dumm. Der Durchschnitt bewegt sich auf einer Spirale mit Gefälle. Nur der Einzelne ist ein freies Individuum. Fähig zu allem Guten, aber auch Schlechten dieser Welt. Also überlegen Sie gut, welchen Sender Sie demnächst einschalten.
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