Mittwoch, 5. Dezember 2007
Nikolaus
Einen schönen Nikolaustag wünsche ich heute allen Lesern und Nichtlesern. Ich hoffe, jeder hatte einen Schuh frisch gebohnert und poliert vor die Tür gestellt und fand ihn heute Morgen gefüllt mit Lebkuchen, Schokolade, Apfel, Nuss und Mandelkern.
“Was’n das?“ nölt die heutige Jugend, die nicht mehr weiß, was Mandeln und Nüsse sind. „Keine Playstation, Aldär? Was’n das für’n Scheiss?“
Eigentlich schade, dass wir für heute Abend keinen Knecht Ruprecht bestellt haben. Obwohl, ich kann mir nicht vorstellen, das ein Knecht Ruprecht heute noch viel Angst und Schrecken verbreiten würde. Vermutlich wäre das eher anders herum, wollte der verweichlichte Soziologiestudent, der mit der Ruprecht Rolle sein Taschengeld aufbessert, den heutigen Lausbuben quer kommen. Da bräuchte es dann schon mehr als einen Rentierschlitten, um schnell Land zu gewinnen.
So ist das mit den Bräuchen. Die, die sich nicht auf pimpen lassen, geraten allzu schnell in Vergessenheit und verlieren ihren eigentlichen Sinn. Oder weiß heute noch einer unter 20, dass Halloween mal Erntedankfest hieß, dass der 3. Oktober gefeiert wird, weil es weiter östlich mal so eine Mauer gab, oder dass man einen Beruf ergreifen kann, ohne von Dieter Bohlen oder Bruce Darnell gecastet worden zu sein. An solch old fashioned Brauchtum hat niemand mehr Interesse. Lässt sich doch mit ein paar blödeln Mandeln und Nüssen keine Kohle machen. Da müssen schon noch ein paar iPhones, Notebooks und neue Kücheneinrichtungen in den Stiefel.
Während wir Hinterwäldler abends zusammen Plätzchen backen, suggeriert uns die Industrie, nein, sie knallt es uns an den Kopf: „An Nikolaus nach Hawaii! Gönnen Sie ihren Liebsten ein paar Tage Sonne!“
Und dazu gibt es ein paar Schnappschüsse einer drallen Blondine im roten Bademantel, der entfernt an den guten, alten Nikolaus erinnert.
Früher hat es oft geschneit am 6. Dezember. Wir machten einen langen Waldspaziergang im Schnee und tranken danach selbst gemachten Glühwein, bevor es ans Plätzchenbacken ging. Doch heute macht die Klimaerwärmung, die natürlich nichts mit den Menschen zu tun hat, Schnee in den Alpen und gar im Voralpenland zu einem winterlichen Weihnachtsmärchen aus alter Zeit.
Zwar ficht das unsere wackere Politik nicht an, sich um die Olympischen Winterspiele 2020 in Garmisch zu bewerben. Nur Schnee in Garmisch? „Es war einmal“ wird 2020 zum Thema Schnee verlautbart, nicht ohne mit mehreren tausend Schneekanonen den letzten Naturschutzfleckchen den allerletzten Tropfen abzudrehen. Aber mir ist das alles sowieso egal, weil ich am 6. Dezember 2020 mit einer roten Nikolausmütze in Waikiki Beach sitze und mir von einer drallen Blondine im roten Bademantel einen kühlen Pina Colada kredenzen lasse. Aber das ist dann wieder ein anderes Weihnachtsmärchen.
Der Plan
Wie oft treffe ich im Job und im Leben auf Menschen, die mir ausführlich Lebenssituationen beschreiben, die insgeheim auf einen genialen Plan hinauslaufen. So etwas wie, ich haue jetzt zehn Jahre rein und dann setze ich mich zur Ruhe oder, ich mach das jetzt fünf Jahre so mit, aber dann mach ich mein Ding.
Viele Menschen haben einen anderen Plan in der Tasche. Der kann oder muss aber meistens warten. Oder er geht nur in Erfüllung, wenn man bereit ist, ein paar Jahre dafür zu opfern.
Früher als Student, wenn ich mal keine Kohle hatte, dann haben wir uns Businessmodelle einfallen lassen, die uns in kurzer Zeit jede Menge Kohle bringen sollten. Mit denen wir dann wieder eine längere Zeit hätten überbrücken können. Tuten und Blasen war so eine Idee. Pizzataxi gehörte auch dazu. Dann wollten wir einen Lieferservice für frischen Orangensaft machen. Sandwich Service. Pornodarsteller. Oder ein Ding drehen. Wir haben aber nichts davon in die Tat umgesetzt, außer Renovierungsarbeiten der unmöglichen Art. Wir haben Diskotheken renoviert und zwar von Sonntagnacht bis Dienstagabend, den ganzen Laden. Damit mussten die keinen Tag geschlossen haben.
Das haben wir auch mal für ein Eros Center gemacht. Das war gutes Geld. Messestand aufbauen und so weiter. Das waren alles Knochenjobs, bei denen man nicht zum schlafen kam. Aber man hatte danach zwei bis drei Wochen Ruhe.
Es ging immer nur ums Geld. Viel Geld in wenig Zeit, um viel Zeit mit wenig Geld durchzukommen. Das war der Deal. Das ist der Deal für viele. Denn im Laufe der Jahre ist mir aufgefallen, dass diese Art von Beschaffungskriminalität nicht zielführend ist.
Auch ich dachte mal an die 10 Jahre Theorie. Und dabei fiel mir auf, dass dies nicht aufgeht und dass 10 Lebensjahre zu opfern ganz schön viel ist. Weil man ja nicht genau weiß, wie viele man hat. Zudem hat der Einsatz der Mittel den Zweck nicht geheiligt. Somit bin ich aus diesem Konzept ausgestiegen. Komplett.
Andere, viele andere sind immer noch auf dem Trip, mit Plan B den eigentlichen Plan A erfüllen zu können. Ich kenne niemanden, der es geschafft hat oder der, als der Zeitpunkt zum greifen da war, es gemacht hat. Man gewöhnt sich an vieles und so gerät der Plan A in Vergessenheit oder wird nur noch als Ausrede benutzt. Das System hat einen längst einkassiert. Es kontrolliert und lenkt einen. Man kann nicht mehr ohne. Man will auch irgendwann nicht mehr ohne. Aber der Plan war bei vielen ein anderer.
Der bestand aus sehr viel Freiheit, Selbstbestimmung, Freizeit, Spaß und vielen anderen schönen Dingen. Die man jetzt aus guten Gründen vor sich her schiebt. Als ob man ein zweites Leben in der Tasche hätte, dass man, wenn das erste verpfuscht ist, einfach raus holt.
So verrinnt die Zeit immer schneller. Die Freundschaften werden nicht mehr gepflegt wie früher. Es ist nur noch Zeit für Zweckgemeinschaften. Und die Nummer mit der Familie musste wohl oder übel dann doch dran glauben.
Konnte ja auch nicht klappen. Keine Zeit. Der Stress. Die vielen Geschäftsreisen. Viermal umziehen mit kleinen Kindern. Und so weiter und so weiter. Und dann ist man Mitte 40. Im Job ganz erfolgreich. Steht aber seit Jahren auf der Kippe. Man kann nicht nachlassen. Nicht ausruhen. Das Rennen fordert einem mit zunehmendem Alter immer mehr ab. Sitzt in seiner Wohnung spät abends alleine da. Weihnachten rückt schon wieder näher. Wieder nur schnell was beim Imbiss reingeschlungen.
Das Telefon liegt da, als sei es tot. Leere. 17 ungelesene E-Mails. Fünf Anrufe in Abwesenheit. Alles Business. Ist es das wirklich wert? War der Plan A eigentlich nicht doch der bessere? Aber jetzt gibt es kein zurück mehr. Man steckt mitten drin in der Scheiße.
Alle denken, man hätte eigentlich ein gutes Leben. Man versprüht das ja auch jeden Tag. Dabei ist es ein Leben, das als Doppelrolle begann und jetzt in die Rolle abgedriftet ist, in die man eigentlich nicht wollte.
Der Plan. Der Plan ist nicht nur nicht aufgegangen, sondern man ist Teil eines anderen Plans geworden. Das hat man übersehen und unterschätzt. Zu spät? Ich weiß es nicht. Kann es jemals zu spät sein? Keine Ahnung.
Wie gesagt, ich habe immer Plan A verfolgt. Plan B kam für mich nie in Frage. Ohne die Fähigkeit zur Diplomatie und ohne die Bereitschaft zum Opportunismus, wäre ich sicher ohnehin gescheitert. Somit blieb mir nur Plan A. Der hat mich Geld gekostet, was ich nicht hatte. Viel. Aber alles andere lief dafür nach Plan. Und wenn ich jetzt hier so sitze und schreibe, dann fühle ich – es ist perfekt so. Plan A - du bist mein Plan. Weiter geht’s. Was kommt morgen?
Dienstag, 4. Dezember 2007
Das Ereignisprinzip - mit dem Unterbewusstsein auf dem Holzweg
Der Mensch sucht immer nach Systemen. Alles muss eine Verbindung und einen Sinn ergeben. Nichts ist einfach nur so. Immer verknüpft er Zusammenhänge.
Ein Beispiel. Ich stehe mit meinem Auto an einer Ausfahrt. Ich kann rechts und links so gut wie nichts sehen. Somit muss ich mich langsam vortasten. Mein Gefühl sagt mir, umso länger ich warte und kein Auto kommt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass nun eins kommt.
Die Befürchtung steigt mit dem warten an. Wäre ich zügig losgefahren, wäre meine Befürchtung, es könnte zu einem Zusammenstoß kommen, wesentlich geringer. Statistisch gesehen ist das Blödsinn. Denn das Zufallsprinzip berechnet Vorfälle linear. Somit können an dieser Kreuzung genau aus dem von mir beschriebenen Grund zehn Unfälle passiert sein. Nur wann diese stattgefunden haben, weiß ich nicht.
Somit können es vor vier Jahren acht Unfälle in zwei Tagen gewesen sein. Oder der letzte war vor acht Jahren. Oder zwei erst gestern. Was macht mein Unterbewusstsein? Es stellt eine falsche Verbindung her, denn mathematisch gesehen, müssen beide PKWs zum exakt gleichen Zeitpunkt so zusammenkommen, dass ein Unfall unvermeintlich ist.
Warum steigt also meine Angst mit der längeren Wartezeit, wenn diese das Prinzip Zufall überhaupt nicht beeinflusst? Unser Unterbewusstsein stellt eine unlogische Verbindung, Verkettung der negativen Art her.
Sind wir lange nicht krank, befürchten wir, wenn wir krank werden, sehr krank zu werden. Haben wir Pech, gehen wir davon aus, das nächste Ereignis wird von ähnlicher wenn nicht sogar schlimmerer Ausprägung sein. Warum?
Wer kennt das nicht beim Glücksspiel. Schlechte Würfel sagen einem klar, das geht sicher so weiter, wird wenn überhaupt noch schlimmer. Dasselbe gilt natürlich auch anders herum. Hat man Würfelglück, geht man ganz selbstverständlich davon aus, dass dieses Glück einem mindestens treu bleibt, wenn nicht sich sogar steigern lässt.
Somit setzen wir mental im positiven wie im negativen Ereignisse linear fort, immer verbunden mit einer eventuellen Steigerung im positiven wie im negativen Fall. Wir stellen Verbindungen her und glauben, uns den Fortgang vorstellen zu können. Wir sind uns sicher, es muss in dieser Richtung weiterlaufen, obwohl es für das nächste folgende Ereignis ohne Einfluss bleibt. Ist es die Fortsetzung, fühlen wir uns sogar bestärkt. Ist es die Unterbrechung, beginnen wir eine neue falsche Verbindung herzustellen.
Dabei hat diese Vorahnung nichts mit der Realität zu tun. Die Ereignisse sind völlig unabhängig voneinander. Daher auch das Sprichwort: Was nur gut anfängt, wird schlimm enden. Was schlimm anfängt, wird grausam enden. Man kann dieses Phänomen überall betrachten. Verliert eine Mannschaft, so gehen alle davon aus, dass diese weiterhin verlieren wird. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Auch so ein Quatsch.
Alles ist immer offen. Alles kann immer anders sein. Somit empfinden wir nicht nach der Realität sondern nach einer unlogischen Emotion oder einer falschen Überlegung. Was unweigerlich dazu führt, dass wir uns auf Grund dieses Phänomens auch dementsprechend falsch verhalten und falsch entscheiden. In der festen Annahme, dass wir das nächste Ereignis in seiner Ausprägung vorausbestimmen können, verhalten wir uns auch dementsprechend. Wir begegnen somit überwiegend dem nächsten Ereignis nicht neutral sondern tendenziell, was den Ausgang nicht unerheblich beeinflusst. Wir sind so gut wie nicht fähig und bereit, eine „Nullstellung“ einzunehmen oder eine Objektivität und Neutralität walten zu lassen. Wir sind geistig gesteuert und geprägt von unseren falschen Vorahnungen.
Somit begegnen wir der Realität voreingenommen. Wir haben eine falsche Einstellung. In den meisten Fällen.
Überträgt man das auf Unternehmen, so stellt man fest, dass hier identisch agiert wird.
Falsche Verbindungen führen zu falschen Überlegungen und Entscheidungen. Im negativen wird in der Regel immer überreagiert und im positiven setzt man mit einer großen Selbstverständlichkeit voraus, dass es genau so weiter geht. Immer besser.
Es geht also darum, die Fähigkeit zu entwickeln, Ereignisse neutral und objektiv betrachten zu lernen. Diese zuerst isoliert zu betrachten. Das Ereignis erst als Einzelfall zu begreifen. Und dann, wenn es nötig und sinnvoll erscheint, diese in Verbindung oder andere logische Zusammenhänge zu stellen.
Ein einfaches Beispiel: Ein Mitarbeiter kommt zu spät zur Arbeit. Bedeutet dies etwa, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit ein unpünktlicher Mensch ist? Oder dass dies der Anfang davon ist, dass er häufig zu spät kommt? Was die Moral der ganzen Mannschaft untergräbt? Ist das der Anfang von einem Problem?
Würde man das "zu spät kommen" isoliert betrachten, dann würde man zu dem Mitarbeiter gehen und einfach fragen: Was war los? Und er würde einem eine Antwort geben. Diese lässt dann darauf schließen, ob es wirklich eine Ausnahme darstellt oder nicht. Oder der Mitarbeiter würde von selbst eine plausible Erklärung liefern und damit ist das Ereignis abgeschlossen.
Aber genau das tritt in den meisten Fällen nicht ein. Sondern hier beginnt im kleinen, was dann zu einem großen – falschen – Problem führen kann. Das zeigt, wie wichtig die Kommunikation ist, wie wichtig eine isolierte Betrachtung eines Ereignisses ist.
Wir multiplizieren sogar fälschlicherweise Vorahnungen in ihrer Ausprägung. In unserer Vorstellung fällt nicht nur ein Flugzeug vom Himmel, sondern ab diesem Ereignis fallen ständig welche vom Himmel.
Dieses Phänomen machen sich ganze Industrien und Branchen zu eigen. Sie wissen genau, welche Bedürfniskette losgetreten wird, wenn der entsprechende Vorfall eintritt. Und bedienen diese.
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