Mittwoch, 30. Mai 2007
Blaue Stunde
Dieses wunderbare Foto hat uns Daniel Reiter seines Zeichen Fotograf zur Verfügung gestellt. Es passt zu uns und somit zur note. Es fängt so wunderbar einen der schönsten Momente ein. Bekannt unter dem Begriff "blaue Stunde" Es ist der sanfte, zärtliche Übergang vom Tag in den Abend. Wenn aus Hitze angenehmen Temperaturen werden. Wenn aus Wind stille wird. Wenn die Luft so rein wird. Wenn der Tag sich glättet. Wenn der Stress sich legt. Das Sonnenlicht nicht mehr in die Augen sticht. Wenn der Tag an einem vorüber gezogen ist. Der Appetit seinen Höhepunkt erreicht. Wenn Klarheit herrscht. Das Handy ruht. Es ist einer dieser wunderbaren Momente bei dem man die Chance war nehmen muss, ganz nah bei sich zu sein. Der Blick verliert sich in der Weite. Dem absoluten Nichts einen schönen langen, ruhigen Augenblick die Bühne überlassen. Es ist der Augenblick wenn das Leben ausatmet. Wunderbar.
Foto: Daniel Reiter
Samstag, 26. Mai 2007
Der heißeste Tag unter der Sonne (Hansgeschichten)
Die Nacht war warm wie bei ihm zuhause so mancher Tag nicht war und er schwitzte und der Schweiß sammelte sich am Kinn. Er lag auf dem Rücken nackt auf dem Bett und roch sich selbst. Das Laken war warm am Rücken, am Po und an den Rückseiten der Beine, und der ganze Körper war klebrig und kühl vom Schweiß. Es war ein heißer Tag gewesen und den ganzen Tag war er gegangen. Als er so ging hatte der Körper nur einen ganz kleinen Schatten auf den Asphalt geworfen. Es war heiß, heiß, heiß gewesen. Er hatte geschwitzt unter der Kappe und der Schweiß war ihm über die Stirn und in den Nacken gelaufen. Die Straße war heiß und der Weg hinab zur Küste war staubig gewesen. Er lag auf dem Bett und er schloss die Augen und der Staub klebte an seinen Waden als er jetzt ging und hatte sich mit dem Schweiß vermischt. Der Aufstieg war steil gewesen und fast ohne Kurven. Der Weg war ein Weg und gleichzeitig eine Feuerschneise gewesen. Rechts des Weges waren die Hänge baumlos. Einzelne schwarze Stümpfe ragten aus Knie hohem Grün empor. Auf dieser Seite, die zum Meer abfiel, hatte das Feuer den Wald zerstört, hatte sich den Berg hinauf gefressen und war erst durch die Schneise gehindert worden, weiter nach oben zu steigen. Baumnachwuchs, so bemerkte er, fehlte ganz. Auf der linken Seite des Weges war Pinienwald. Der Wald war ohne Unterholz und die Bäume wuchsen in regelmäßigen Abständen aus einem grünen Teppich heraus.
Oben auf dem Berg war eine Funkstation, die den gesamten Flugverkehr nördlich von Rom überwachte. Hans nahm die Kappe vom Kopf und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Seine Haare waren auch nass, und wo der Rucksack auflag war das T-Shirt nass und als er den Rucksack ablegte, um die Wasserflasche herauszuholen, strich ein Luftzug über seinen nassen Rücken und er spürte die Kühle vom Meer. Die Hitze war erträglich gewesen, denn er war noch nicht sehr lange gegangen. Aber der Aufstieg hatte es in sich gehabt, war steil gewesen und ganz ohne Schatten. Als er getrunken hatte wurde sein Kopf heiß und der Schweiß schoss ihm aus den Poren. Er fluchte, weil er sein Halstuch vergessen hatte und er sich den Nacken verbrennen würde. Er fluchte, dass er nicht früher losgegangen war und er fluchte, dass er überhaupt losgegangen war und er fluchte auf die Schwüle und auf den Scirocco, der feucht und heiß von Nordafrika herüberwehte. Er wünschte sich das Ende des Weges herbei und sah zurück und ganz weit entfernt die roten Dächer von Capoliveri. Als er den Pinienwald erreichte, holte er die Karte heraus und setzte sich auf einen Stein. Er trank nur einen Schluck und steckte die Karte wieder zurück. Die Luft roch würzig, wie ein Badezusatz und es war ganz still. Er sah sich um und erblickte durch das grüne Dach den blauen Himmel. Es war ein guter Platz.
Später, als er an eine Wegkreuzung mit einem kleinen Hügel an der Seite kam, stieg er die wenigen Meter den Hügel hinauf und blickte in eine grüne Pfütze, die einmal ein Wasserreservoir gewesen war. Ab jetzt glaubte Hans nicht mehr, dass der Weg besser werden würde oder dass es Schatten gäbe oder dass er die Wasserflasche auffüllen könnte. Es gab bestimmt mehr als einen Weg hinab zur Küste. Noch andere Wege waren von der Kreuzung abgegangen, deren Verlauf er aber nicht verfolgen konnte. Auf dem Weg lag Geröll und große und kleine Steine lukten aus dem von der Sonne zu Stein gebackenen Lehmboden. Hans versuchte die beste Gehspur zu finden, rutschte auf dem Geröll, ging einen Zickzackkurs und suchte den Schatten einzelner Bäume. Hinter ihm war nichts als Staub und vor ihm nichts als Hitze. Nach jeder Serpentine erhoffte er das Blau des Meeres zu sehen. Er trank das letzte Wasser und legte den Kopf weit in den Nacken, bis die Sonne ihn heiß blendete und die Flasche auf den letzten Tropfen geleert war. Er war jetzt ständig bergab gegangen. Seine Schienbeine schmerzten davon und die großen Zehen taten vom Anstoßen weh. Der Weg würde ihn bis ganz hinunter zum Meer führen und er wusste, dass er das alles später wieder hinaufgehen müsste.
Gerade bevor er das Meer sah, entdeckte er den Helm eines Reiters am Weg. Der Reiter hatte den Helm bestimmt noch gesucht, aber der Helm hatte die helle Farbe getrockneten Lehms und war vom Boden kaum zu unterscheiden. Das Kinnband war abgerissen und innen war der Helm mit roter Seide gefüttert. Hinten war eine kleine, schwarze Schleife. Der Größe nach musste es der Helm eines Mannes gewesen sein. Hans nahm den Helm auf und solange ihn die Gedanken an den Reiter ablenkten, dachte er nicht an den Weg, der noch vor ihm lag und an die Hitze und an den Durst. Hans sah auf das Meer, das unter ihm auf die felsige Küste rollte. Er dachte an Schiffbrüchige, die im Meer trieben und ohne Trinkwasser waren, und die verrückt würden bei dem Gedanken, dass sie von unendlich viel Wasser umgeben waren, und das sie verdursten würden oder ertrinken.
Er kam an eine Staubpiste, auf der auch Autos fahren konnten, die zu einem kleinen Strand wollten. Auf dem Strand, der nur wenig besucht war, sah Hans einen Mann in weißem T-Shirt und Badehose, der den Strand mit einer Harke von Treibholz säuberte. Hans ging hinunter. Der Strand gehörte zu einer Bar. Vor der Bar war ein Parkplatz mit Bäumen unter denen Autos standen, die vollständig von einer weißen Staubschicht bedeckt waren. Hinter der Bar war eine Terrasse mit sauberen Holztischen und grünen Stühlen. Hinter der Terrasse war das Meer, das hier sanft auf den Strand rauschte. Hans ließ sich eine Flasche Wasser bringen und sah auf das Meer. Das Meer war herrlich blau. In der Bucht lagen Segelboote mit Masten, die bis in den Himmel reichten.
„Mangiare?” fragte der bullige Typ mit schwarzem Kinnbart, der bediente.
Hans sagte: „No, grazie”, und dachte an nichts. An weniger als nichts und schon überhaupt nicht ans Essen. Er trank Glas für Glas und als die Flasche leer war, dachte er an das letzte Stück und an das Ziel und fühlte sich gut.
Das letzte Stück war Asphalt. Eine gewöhnliche Straße, die vom Meer über einen tiefer liegenden Ortsteil hinauf und zurück nach Capoliveri führte. Ein übles Stück Weg. Hans ging wie mechanisch über den heißen Asphalt. Nicht stehen bleiben und drüber nachdenken, dachte er jetzt. Eine Schlange, die überfahren worden war, klebte trocken und dünn wie Pergament auf dem Asphalt. Die Luft kochte und seine Hände waren angeschwollen. Die Füße schmerzten und fühlten sich ganz heiß an und dick. Hans ging und kam an einem Lastwagen vorbei mit grünen, glänzenden Wassermelonen wie Fußbälle so groß. Er hätte eine genommen, es war aber niemand zu sehen und er hatte auch kein Messer.
Nachdem er eine weitere Ewigkeit gegangen war konnte er endlich die ersten Häuser sehen. Alle Läden und Türen waren geschlossen wegen der Sonne. Auf einer Bank vor einem der Häuser saß ein alter Mann. Er rief Hans etwas zu und Hans, der ihn bestimmt nicht bemerkt hätte, weil er zu weit von der Straße entfernt vor seinem Haus saß, wusste nicht, ob der Mann ihn auslachte oder ihm Mut machen wollte.
„Tropo sole”, hatte Hans verstanden und der Mann hatte gelacht.
Hans sah den Alten, aber sein Gesicht konnte er nicht erkennen. Aber seine Stimme klang, wie die Stimme eines alten Mannes; mit der Erfahrung vieler Sommer.
Hans erwachte. Es war dunkel. Das Fenster stand offen und die Läden waren halb geschlossen vom Tag. Der Raum war stickig und er hörte, wie der Scirocco durch die Bäume strich. Er tastete nach der Wasserflasche und trank und das Wasser schmeckte fahl und war lauwarm. Draußen hörte er die Stimmen des Hotelpersonals und einige Schritte auf dem Asphalt.
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