Dienstag, 23. Januar 2007
Kollektives Knipsen
(Foto: Peter von Felbert)
Für einen kurzen Augenblick scheint die Welt in Ordnung: Japaner, Amerikaner, Deutsche, Franzosen, Italiener, Engländer, sicher auch Schweizer und Österreicher für eine hundertfünfundzwanzigstel Sekunde vereint. Gleiches Interesse, gleiches Ziel. Den Blick gemeinsam aufs Objekt gerichtet, objektives Interesse trotz subjektiver Sicht. Freundliches Zurückweichen bei Blende fünfkommasechs. Dem Nachbarn den Vortritt lassen. Des Fremden Standpunkt übernehmen. Sogar Männer und Frauen sind gleichgestellt. Sie zeigen die gleiche Haltung zu den Dingen. Nebeneinander, miteinander, leicht gebeugt, federnd in den Knien. Ein recht freundliches Bild.
Italienische Momente
(Foto: Peter von Felbert)
Das ist Muße: Wenn du in der Bar sitzt, der Espresso serviert wird, dazu zwei Tütchen mit Zucker und viel gentilezza – also viel Freundlichkeit; wenn ein gutes Buch aufgeschlagen vor dir auf dem kleinen, runden Tisch liegt oder dein Notizbuch; ein Stimmengewirr den Raum erfüllt; wenn du die zwei Tütchen mit Zucker betrachtest und du auf dem einen die Drei Zinnen und auf dem anderen den Schiefen Turm erkennst, und du die absolute Freiheit hast, zwischen Dolomiten-Zucker und Pisa-Zucker zu entscheiden; wenn man mehr nicht und auch nicht weniger von dir will, wenn du mehr nicht brauchst und auch nicht weniger willst.
Donnerstag, 11. Januar 2007
Aus nächster Ferne
Die Mole, ohne Sonne und ohne Touristen, hat dem Abend und der Ruhe Platz gemacht, den Feuerwerkern, den Anglern, den Äteren, dem Aussichtsuchenden; der Patrona della cittá, der mamorweißen, die meerwärts blickt. Ein anderer, der meerwärts blickt, zählt die vor der Mole ankernden Segler, spürt den sonnengewärmten Stein unter den Füßen, sieht den Sohn, der unterhalb auf den Felsen sitzend die Füße ins Wasser hält, und hier schon seinen Lieblingsplatz gefunden hat. Italien, befindet er am Nachmittag, sieht gar nicht aus wie Italien. Er sagt: Havanna, wegen der Palmen; und auch die Häuser sähen so aus.
Ein Stück weit im Städtchen gibt es einen Verleih für Motorroller, wo die Signora die verbliebenen Roller aber allesamt für fahruntüchtig erklärt, jedoch Abhilfe verspricht: domani matina, vielleicht; domani sera, bestimmt; und dann Montag, Dienstag, Mittwoch, die ganze Woche – no problemo. Ein Motorroller für zwei, ja sicher, kein Problem.
Heute ist Samstag und das Linienschiff an der Mole kündigt die letzte Fahrt nach Portofino an; letzte Fahrt: ultimo viaggio a Portofino; oggi ventiquattro ora. Bis dahin ist noch Zeit; Bummelzeit, Essenszeit, Trinkenszeit, Ruhezeit.
Dem Sohn gefällt Italien. So viele Motorroller! Viel mehr, als in Holland. (Wieso Holland?) Sie befahren die Hauptstraße um den Lido herum. Laut, frech, schnell. Sie stehen vor Ampeln, vor der Bar, der Tabbacheria, stehen auf Plätzen, am Straßenrand, im Halteverbot, im Mittelpunkt. Aprilla, Vespa, Gilera – Que bella musica! Italien ist irgendwie verrückt, meint der Sohn. Wenn man es verrückt findet, denkt er, hat man es schon ein bisschen verstanden.
Die Vorbereitungen für das nächtliche Feuerwerk sind abgeschlossen. Die beiden Carabinieri besprechen sich mit den Feuerwerkern. Die Mole wird abgesperrt. Das Volk muss den Ort verlassen, wird freundlich zum Gehen gebeten. Auch, wenn er die einzelnen Worte nicht versteht, kann es kein Missverständnis geben; eindeutiges Mienenspiel, ausdrucksvolle Gestik; der Blick ist stadtwärts gerichtet.
Die Polizia Communale versucht dem Verkehr Herr zu werden. Sie dirigieren, wie große Komponisten, die Roller, die Motorräder, die PKW, die Busse; das ganze Blechorchester der Umgebung. Sie kommen von allen Seiten, wie Eisenspäne von einem riesenhaften Magneten angezogen.
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Mittwoch, 10. Januar 2007
Ich nehme mir das Leben
Nicht wie ihr denkt. Ihr denkt immer so negativ. Nein, ganz im Gegenteil, das ist die ultimative Ankündigung, das eigene Leben in vollen Zügen zu genießen. Ich will, dass man mal von mir sagt: Gott, der hat gelebt. Sich allen Herausforderungen kraftvoll zu stellen. Der drängelnden Neugierde unablässig gerne nachgeben und dabei Neues zu entdecken. Da liegt es vor mir, mein ganzes Leben. In all seiner Pracht. Ausgestattet mit den ganzen Nuancen. Man kann so unendlich vielem begegnen. Die Sinne sind offen für Zusammenkünfte aller Art. Das Leben ist die einzige sich mir bietende Chance, mit allen Wassern gewaschen zu werden. Das Leben ist da draußen. Und in mir drin. Man trifft auf harte Realitäten. Und man kann trotzdem träumen. Durchzogen mit allen Gefühlswelten, von denen man nicht genug bekommen kann und die man seinem ärgsten Feind nicht wünscht. Das Leben ist die ständige, gewollte Bewegung von Ziel zu Ziel. Sich nicht einfach treiben lassen wie ein Stück Holz. Es ist das entschlossene auf die eigenen Träume Zugehen. Diese mutig zu formulieren. Sich an den eigenen Wünschen messen. Von den Sichtweisen anderer profitieren. Weiter gehen und weiter gehen. Man muss immer weiter gehen. In die für einen wesentlichen und wichtigen Materien so tief vordringen, wie es einem das Leben ermöglicht. Und so viel Weg gemeinsam beschreiten, wie es nur geht. Aber auch entschlossen alleine unaufhörlich vorankommen. Wenn man was erleben will, dann muss man sich das Leben nehmen. Man muss zupacken. Man darf es nie loslassen. Denn man bekommt sonst nichts. Vor allem nichts zurück.
Freitag, 5. Januar 2007
Me, myself und I
Das bin ich. Auch noch heute. Vieles an mir hat sich zwar verändert. Entwickelt, wie man sagt. Nicht alles zum Guten. Aber noch mehr von dem Kleinen ist geblieben. Unverändert. Zum Glück, denke ich. Leider jedoch einiges andere. Mein Vater hat unendlich viele Fotos von uns und unserem Leben gemacht. Schränke von Dias, die in Diakästen ihr tristes Dasein fristen, schlummern bei meinen Eltern im Keller. Sie dokumentieren so gut wie lückenlos meine ersten 15 Jahre. Dann reißt der Faden ab und wird lückenhaft und zunehmend unvollständiger. Aber bis zum 15. Lebensjahr hat das Objektiv meines Vaters mich eingefangen so wie ich war. Er fotografierte leidenschaftlich. Und diese Aufnahmen wurden zunehmend besser und besser. Ich kann behaupten, dass da Schätze schlummern. Die, so wie ich ihn kenne, nie das Licht der öffentlichen Welt erblicken werden. Aber das ist sein Ding. Zurück zu mir. Ich wollte nur festhalten, dass vieles ist, wie es ist und unveränderbar ist. Wir denken viel zu viel über das Unveränderbare an Menschen nach. Und vergeuden noch mehr Energie, um diese in unserem Sinne zu verändern. Oder sollte ich besser sagen zu verbiegen? Klappt nicht. Ich weiß, dass ein Großteil meiner Persönlichkeitsmerkmale von Anfang an da waren und sich bis heute nicht geändert haben. Weil, wenn ich die vielen Bilder überfliege, ich immer wieder dasselbe sehe. In allem, was ich da sehe. Und das schöne ist, ich kann es fühlen. Das gute Gefühl, das ist dasselbe. Nicht nur das gleiche. Das ist von großem Vorteil. Denn ich habe gelernt, mich zu akzeptieren. Und dasselbe auch mit anderen Menschen zu tun. Also nehme ich Menschen so, wie sie sind. Ich mäkle nicht herum, sondern ich versuche nur rauszubekommen, welche Rolle Menschen in einer Band spielen könnten, wenn ich eine Band hätte. Wo sie wohl in der Schulklasse sitzen würden. Wann sie im Sportunterricht gewählt würden. Und wenn diese in meiner Mannschaft Fußball spielen würden, auf welcher Position. Bei Klassentreffen wird meine Theorie bestätigt, dass sich fast so gut wie nichts ändert. So dauert es höchstens 5 Minuten, dann fallen alle Fassaden und die alten Rollenspiele sind wieder die alten. Somit versuche ich, wenn mir Menschen begegnen, immer rauszubekommen, wie diese wohl als Kinder waren. Denn so, wie sie sich heute darstellen, kann man aus den meisten nicht viel Schlüsse ziehen.
(Foto: Thomas Hintze)
Donnerstag, 4. Januar 2007
Wo bist du gerade?
In Gedanken verreist. Nicht verloren. An was denkst du gerade? An einen anderen Ort. Nicht an einen anderen Menschen. Die Abstände zwischen physisch vollzogenen Reisen sind oft sehr groß und meist viel zu lang. So reise ich in Gedanken. Und zwar nicht nur an andere Orte, sondern auch als andere Persönlichkeit, in eine andere Zeit. Bei Reisen und Ausflügen in Gedanken ist alles erlaubt. Wenn einem das erstmal bewusst wird, dann können solche Reisen richtig anstrengend und intensiv wirken. Denn der Anspruch an die Ausflüge entlang den Synapsen steigt. Wo man früher noch mal am Strand lag, gesellen sich jetzt ganze Erlebniswelten dazu. Meist ausgelöst durch kleine Impulse. Ein Bild, ein Artikel, ein Film oder nur eine Geschichte, die man gehört hat. So über den Tag bleibt viel Zeit, sich diesen Ausflügen gebührend zu widmen. Das Schöne: Man kann diese auch einfach unterbrechen und dann wieder fortsetzen. Man kann jeden mitnehmen und was noch schöner ist: zu Hause lassen. Die schönste Welt ist die im Kopf. Den nur die ist so, wie man es sich wünscht. Perfekt oder voller Katstrophen, die zum Glück immer glücklich ausgehen. Deshalb trifft man mich auch tagsüber in Gedanken oft an anderen Orten, in einer meiner Welten an.
(Foto: Peter von Felbert)
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