Freitag, 24. November 2006
Liebe beruht auf Gegenseitigkeit – Autumn leaves. Ein Liebenserklärungsversuch.
Autumn Leaves
Das ist ein Musikstück. Den Jazzliebhabern sicher bekannt. Von vielen Jazzgrößen zum Besten gegeben, wird hier der Abschied vom Herbst in allen Klangfarben wiedergegeben. Der Ursprung dieses Stückes ist, was nur wenige wissen, Frankreich, und heißt dort: "Les Feuilles Mortes". Was so viel heißt wie: "Das Sterben der Blätter".
Warum ich über dieses Musikstück schreibe? Weil es zu meinen Lieblingsstücken zählt. Wenn nicht sogar mein Lieblingsstück ist. Denn nichts drückt den Jazz in seiner Sehnsucht, Melancholie, seinem Hang zum Schmerz, seiner Verspieltheit, seiner Leidenschaft, seiner Coolness, seiner großen Kraft für das Gute besser aus. Es ist das Stück. Das eine. Das ich so gerne höre. Warum? Warum, habe ich mich gefragt. Warum dieses? Und habe mich auf die Suche nach der Antwort gemacht. Und mir sind da einige Dinge aufgefallen. Ich habe einiges entdeckt, was mir Antworten auf meine Frage gab.
Bei der Reise in die Vergangenheit eines der großen Jazz-Standards verschlug es mich über den Ozean. Ins alte Europa. Die Wurzeln dieses Stückes fand ich überraschenderweise in Frankreich. Da ich mich als frankophil bezeichnen würde, hat es mich besonders gefreut, dass der Ursprung eines der Jazzklassiker im Herzen meiner Leidenschaft liegt. In Frankreich. Das Land, das für den Genuss steht. Der Wein, der Käse, die Cafés, das Restaurant, das Boule Spielen. Das Land der Impressionisten. Das Land von Truffaut und Bunuel. Die Wiege der Magnum Fotografie. So vieles verbinde ich mit meinem Frankreich, dass ich mich gefreut habe, dass "Autumn Leaves" aus dem Land meiner Genüsse stammt. Wie sollte es auch anders sein.
Somit sind für die eigentliche Komposition und den Text Joseph Kosma, Johnny Mercer und Jacques Prevert verantwortlich. Es gibt zwei Aufnahmen vom ursprünglichen Titel. Einmal von Edith Piaf und von Yves Montand. Die Piaf gibt den ursprünglichen Titel genauer wieder. So dass man die Verwandtschaft gut erkennen kann. Erstmals wurde er in der uns besser bekannten Version von Gordon Jenkins arrangiert, schon im Jahre 1950. Zur ersten Aufnahme kam es am 10. April 1957 in Los Angeles. Und erschien auf dem Capitol Album "Where are you?", dem ersten Stereo-Solo-Album von Frank Sinatra. Er hat das Stück aber auf seiner Welttournee im Frühjahr 1962 nur einmal "live" gespielt. In London sang er "Autumn Leaves" als Trio mit Gitarre und Flöte.
Dann verschwand das Lied, bis es in den 80er ein großes Bühnen-Comeback hatte. Sinatra hat diesem Lied, wie vielen anderen, seinen Standard aufgedrückt. Das war das Original. So scheint es und so wird es in der Jazzwelt auch verstanden. Obwohl es weitere atemberaubende Interpretationen gibt. Einige davon habe ich hier mal aufgelistet: Yves Montand, Edith Piaf , Wynton Marsalis, Bill Evans, Chet Baker & Paul Desmond, Doris Day, Diana Krall , Duke Ellington, Earl Klugh, Erroll Garner, Frank Sinatra, Harry James , James Morrison, Joe Pass, Keith Jarret , Miles Davies And Cannonball Adderley, Miles Davis, Nat King Cole, Pat Metheny, Patricia Kaas, Toots Thielemans, Joe Pass ... und viele mehr. Ich habe über 70 Interpretationen zusammen und es werden ständig mehr. Das sind die schönsten mir bekannten Versionen von "Autumn Leaves".
Der Komponist Joseph Kosma hat eigentlich Filmmusik geschrieben. Viel für Jean Renoir. Er ist in Budapest geboren am 22. Oktober 1905. Er hat am Konservatorium in Budapest studiert, ging dann an die Berliner Oper, bevor er 1929 Bert Brechts Ensembles beitrat. Kurt Weill und Hanns Eisler hatten großen Einfluss auf die Arbeit von Kosma. Mit dem Schreiben von Filmmusik ging er dann 1933 nach Paris. Hier kam es zur Zusammenarbeit mit Jean Renoir. Ein Fixpunkt darin ist in 1936 'Le Crime de Monsieur Lange'; ihre Partnerschaft setzte sich über 'La Grande Illusion' (1937) und 'La Regle du Jeu' (1939) fort. Kosma schrieb auch die Musik zum Marcel Carni-Klassiker 'Les Enfants du Paradis' (1943), im gleichen Jahr für Jacques Privert für das Ballet Rendezvous. Kosma und Privert schrieben einige Stücke zusammen, und dazu gehört auch 1947 "Autumn Leaves", ins Englische übersetzt von Johnny Mercer.
Insgesamt tendierten Kosmas Arbeiten aber mehr in Richtung klassischer Themen als zur populären Musik. Obwohl es auch zu Operetten und Komischen Opern kam, wie 'Les Chansons de Bilitis' (1954) und 'Un Amour Electronique' (1962), sowie 'La Revolte des Canuts' (1964).
Kosma starb in der Nähe von Paris am 7. August 1969.
"Autumn Leaves" ist einer der Standards überhaupt. Da führte ja irgendwann gar kein Weg drum herum. Tatsächlich hat Kosma ziemlich auf einfache Kompositionstechniken zurück gegriffen, was aber nur beweist, dass das Einfache oft attraktiver ist als das Komplexe. Und wenn man nach Versionen von "Autumn Leaves" sucht, findet man wieder alle Namen, die uns bei den anderen Stücken auch schon untergekommen sind.
Man muss es hören, um es zu verstehen. Man muss sich darauf einlassen. Es geht nicht um Gefallen an dieser Stelle. Sondern um die Entdeckung, dass auch im Jazz das Einfache so schwer ist. Und dass nur das Einfache zu wirklich Großem führt. Die Geschichte muss zur Botschaft passen. Die Übereinstimmung muss ineinander greifen. Das erlebt man nur noch selten. Wie zum Beispiel bei Grönemayers "Der Weg" oder bei "Tears in Heaven". Obwohl hier natürlich die offensichtliche Betroffenheit große Wirkung entfaltet. Das braucht "Autumn Leves" nicht. Es braucht nur eine einfache Geschichte. Die musikalisch erzählt wird. Das Fallen der Blätter im Herbst. Das sich verändernde Licht. Die kühle und frische Luft, die sich breit macht. Die tief stehende Sonne. Wenn der Herbst geht, hat die Natur dafür ein grandioses Schauspiel vorgesehen. Auch der Mensch bleibt vom Wandel der Jahreszeiten nicht unberührt. Alles das konzentriert sich in diesem einen Stück. Wer den Herbst sich verabschieden hören will, der muss sich dieses Stück ansehen.
Es gibt so außerordentliche Interpretationen, die so schön und vollkommen sind, dass mir oft der Atem stockt. Das ist keine Übertreibung, das ist so, als ob man vor einem Seerosenteich von Monet steht. Einer Landschaft von Cézanne. Es ist wie einer diese unglaublichen Weine aus dem Burgund. Es ist erhaben. Nicht von dieser Erde. Es ist so gut, dass alles andere dagegen so schlecht aussieht. Das Bessere stellt das Gute sofort in den Schatten. Der Herbst entblößt. Er gibt die Sicht frei. Die Hüllen, das schützende Kleid der Natur fällt.
Ebenso klingt es. Weglassen, um den Blick frei zu geben. Die Komposition macht das, was die Natur vorgibt. Das Gehen wird in Noten dargestellt. Nicht das Kommen, das Strahlen, nicht das Blühen. Sondern das Vergängliche. Das Verabschieden.
Wie kann etwas so Gutes so einfach sein? Hier scheint der Schlüssel, in diesem Fall der Musikschlüssel, zu liegen.
Die Übersetzung des englischen Textes von „Autumn Leaves“:
Die herabfallenden Blätter driften am Fenster vorbei, die roten und goldenen Herbstblätter
Ich sehe deine Lippen, die Küsse des Sommers, die sonnenverbrannten Hände, welche ich versuchte, zu halten.
Seit du mich verlassen hast, werden die Tage länger und schon bald werde ich diese alte Wintermelodie hören.
Aber ich vermisse dich mehr als alles andere, mein Schatz, sobald die Herbstblätter beginnen hinabzufallen.
Und der englische Text.
The falling leaves
Drift by the window
The autumn leaves
Of red and gold
I see your lips
The summer kisses
The sunburned hands
I used to hold
Since you went away
The days grow long
And soon I‘ll hear
Old winter‘s song
But I miss you most of all
My darling
When autumn leaves
Start to fall
Bemerkungen:
Cosma heißt auch die Tochter meiner langjährigen Art Direktorin Regina Kremer. Dass der Komponist in der Geburtsstadt meiner Eltern gearbeitet hat. Und dann auch noch bei einem meiner großen Vorbilder, Bertolt Brecht. Und mit Kurt Weill. Er lebte lange in Paris, der Stadt, die im Zentrum des Fernwehs meiner Jungend stand. Ein französischer Chanson, der schon in seiner Muttersprache nicht viel schöner sein könnte. Parallelen zu "Mackie the knife" liegen nahe.
Vieles habe ich nicht gewusst. Sondern das Stück hat mir einfach nur gefallen. Mehr als andere Stücke. Jetzt kenne ich die Geschichte dazu. Und sie wird zu meiner. Denn die Qualität, die mich ergriffen hat, kommt nicht von irgendwo, sondern entspringt anderen Qualitäten auf gleichem Niveau. Vielleicht habe ich das gespürt. Gewusst jedenfalls habe ich es nicht. Jetzt fühle ich mich in meinem Gefühl bestätigt. Aus den tausenden von Jazz Songs mir den einen herausgegriffen zu haben, der offensichtlich wirklich zu mir passt.
Geschrieben von Christof Hintze
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Dienstag, 21. November 2006
Favorite Art – Paul Klee Abenteuerschiffe
Ein Paul Klee Austellungsposter hing an meiner Wand. Das war so eine Angewohnheit. Wenn unsere Eltern uns erst gegen unseren vehementen Widerstand in und durch eine Ausstellung schleppten, dann konnten wir nachher gar nicht genug davon bekommen. Schon seltsam, dass man Menschen zum Glück überwinden, überreden, überzeugen und übertölpeln muss. Kultur ist immer eine Überwindung. Zuerst hatte ich immer keine Lust. Denn es hing immer mit Neuem, Veränderung und Auseinandersetzung zusammen. Und mit Bewegung. Da der Mensch von Natur aus aber eher häuslich ist, deshalb ist der Weg zur Kultur oft zu weit, zu kalt oder anderweitig zu beschwerlich. Ich danke meinen Eltern, dass sie diesen Widerstand immer wieder gebrochen haben. Denn ich war lange nicht so weit, zu entscheiden, welche Bewegungen oder Begegnungen mir nutzen oder schaden könnten. Das gibt man zwar ungern zu. Zudem macht man es den Eltern nicht leicht. Aber so ist es nun mal. Da muss man gemeinsam durch. Nicht der einfachste, leichteste und bequemste Weg ist der, der einen erfüllt und mit Leidenschaft beseelt. Sicher nicht.
Deshalb ist dieses Bild ein Sinnbild für kulturelle Überwindung. Denn nur mit der kommt man selbst kulturell weiter. Man muss sich schon aufraffen und überwinden, wenn man mehr erleben will im eigenen Leben.
Geschrieben von Christof Hintze
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Freitag, 17. November 2006
Dickes Ding: Napoleon
Der Versuch, seine eigene Zeit zu überleben, hat in Frankreich große Geschichte. Jeder der soll, kann und darf setzt sich mindestens ein Denkmal. Centre Pompidou. Flughafen Charles de Gaulles. Mitterands Pyramide im Hof des Louvre usw. Napoleon hat sich etwas ganz Besonderes augedacht, damit seine Nachwelt ihn in welcher Erinnerung auch immer hält. Er bestand darauf, in einem Sarg aus einem Stück rotem Marmor begraben zu sein. Aber wie diese Popstarzicken war das bei weitem noch nicht genug. Wie in einer Zwiebel befinden sich darin über 10 weitere Hüllen und im Kern des Ganzen, da liegen nur noch die Überrreste von Napoleon. Denn seine Sonderbestellung ließ viele, viele Jahre auf sich warten.
Selbst Schuld. Zu bewunderm in Paris im Dom Invalid. Und sicher nicht zu übersehen.
Montag, 13. November 2006
Interview mit Jack Nicholson in der Süddeutschen zum Überlesen
In der Süddeutschen stand ein Interview mit Jack Nicholson, das braucht man nicht zu lesen. Fuck! Oder in Altdeutsch: Schade, ich hatte mich drauf gefreut. Immerhin Jack Nicholson. Are you crazy, fuck, this is Jack Nicholson. Es bedient sich aber nur aller hinlänglich bekannten Klischees. Fucking here, fucking there, fucking everywhere. Der alte Schwerenöter und so. Ewiger Junggeselle. Mensch, da hast du Jack Nicholson vor dir. Der hat gerade einen Film abgedreht mit einem unbekannten Regisseur, der heißt: Martin Scorsese. Und zwei ganz neuen und jungen Schauspielern, die da heißen: Leonardo DiCaprio und Matt Damon. But, who the fuck cares. Ein neues Mafia-Epos. Eventuell der neue Mafia-Epos. Und die Interviewerin will die ganze Zeit nur unter die schlüpfrige Decke von Jack Nicholson. Fuck, fuck, fuck. Der fühlt sich geschmeichelt. Thanks fucker. Das war´s. Mann stelle sich das mal vor. Jack Nicholson. Hey, Jack – fuck you. What the fuck is going on.
Geschrieben von Christof Hintze
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Montag, 6. November 2006
Are you talking to me?
Es gibt für jeden Menschen zentrale Aussagen, oder Sätze in den unterschiedlichen Disziplinen der Kultur. Die hängen bleiben. Bei mir ist es für die Filmwelt dieser. Und der behauptet sich schon sehr lange. Was ist dein Satz?
Geschrieben von Christof Hintze
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Samstag, 4. November 2006
Gute Übung - Wo samma? Da samma!
Ich möchte keinen unnötigen Druck aufbauen. Wir haben genug Leistungsdruck. Aber bei diesem Test war ich der festen Überzeugung, ich gehe völlig baden und siehe da. Nicht so übel. Aber, mach mal selbst. Macht Spaß und die Geo-Seiten sind ohnehin immer einen Besuch wert.
Geschrieben von Christof Hintze
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