Dienstag, 1. April 2008
Wie viel Gefühl...
...darf man investieren? Wie dosiert man Gefühl? Was ist eine gute Einteilung von Gefühl? Wie geht man mit echten und unechten Gefühlen um? Was tun, wenn einen ein Gefühl übermannt? Oder wenn man nichts mehr fühlt?
Ich empfinde den Umgang mit Gefühlen als wesentlich komplizierter, als ich mir das selbst je gedacht oder zugestanden habe. Große Gefühle. Kleine Gefühle. Keine Gefühle. Plötzlich tauchen sie auf, in Momenten und Situationen, in denen man lieber mit weniger konfrontiert würde.
Oder es kommen gar keine auf in Situationen, in denen ich mir denke: So gefühllos kannst du jetzt doch nicht sein? Die Kontrolle über seine Gefühle ist sehr schwer. Mich überraschen Gefühle noch immer. Positiv wie negativ. Dabei versuche ich, genau zu entziffern, was ich fühle. Denn meine Gefühle sind meine Orientierung. Ich versuche, meinen Lebensweg entlang meiner Gefühle zu beschreiten.
Darum ist das Empfinden für mich so wichtig. Das kann ich aber nur, wenn meine Umwelt mich empfinden und spüren lässt. Vieles in und aus meiner Umwelt bewirkt genau das Gegenteil. Das gilt es zu bewältigen, zu umgehen, zu ignorieren, zu überwinden. Dem nachzugehen, dem meine innere Energie schon vorweg eilt. Ich muss nur folgen können, dürfen und wollen.
Das wäre nicht so schwer, wenn diese Art von Sensibilität seinen gebührenden Platz in unserer Gesellschaft hätte. Vor allem bei Männern. Aber so weit sind wir noch lange nicht. Gefühle haben in vielen Situationen oft nichts zu suchen. Sind nicht angebracht. Und am falschen Platz. Gefühle zeigen, bedeutet Schwäche zeigen – noch für viele.
Mich bewegt deshalb oft der Gedanke: „Was fühlt derjenige da, jetzt oder dann. "Ich ertappe mich dann dabei, dass ich der sachlichen Situation nicht mehr folge, sondern mich längst auf die Suche nach den Gefühlen mache. Ich versuche zu lesen, zu erkennen, zu bemerken. Eigentlich interessieren mich die Gefühle meist mehr als die Informationen.
Es ist das, was hängen bleibt. Die Gefühle der Menschen. Oder meine. Oft versuche ich, mich an Gefühle zu erinnern, was mir nur schwer bis gar nicht gelingt. Dabei war ich mir so sicher, dass ich ein bestimmtes Gefühl immer wieder erleben könnte. Kann ich aber nicht. Die Intensität eines Gefühls ist einmalig. Unwiderruflich.
Das ist nicht schade, das ist gut so. Denn es verlangt auf dem weiteren Lebensweg nach intensiven Gefühlen. Leben. Erleben. Nur wenn wir intensiv fühlen, bemerken wir, dass wir leben.
In unserer Welt lassen wir andere für uns fühlen. Wir nehmen manchmal lieber Anteil an den Gefühlen anderer, als selbst welche zu erleben. Daraus ist eine ganze Gefühlsindustrie entstanden. Wir beobachten andere beim fühlen. Oder hören ihnen zu. Wir weichen unseren eigenen Gefühlen aus. Und schaffen uns eine Umwelt, um eigenen Gefühlen erst gar nicht zu begegnen. Das Gefühlsloch, was dadurch entsteht, wird durch die künstlichen Gefühle anderer gestopft.
Was sind das für Menschen, die ihren eigenen Gefühlen so gut ausweichen, wie es nur geht und sich nur noch über die Gefühle Dritter empfinden? Eine Gesellschaft, welche die persönlichen Gefühle so gut es geht ausschließt? Verbunden mit der vermuteten Gewissheit, das Richtige, das Korrekte, das Objektive zu tun. Sich nicht von seinen Gefühlen sondern von Fakten lenken zu lassen. Die nur an Zahlen erkennen können, wie etwas ist. Alt. Heiß. Teuer. Schnell. Lang... Aber nicht mehr fühlen können, wie es wirklich ist.
Wie fühlt sich Erfolg an? Echter gemeinsamer Erfolg. Und die vielen anderen wunderbaren Gefühle jenseits der Ratio von Zahlen. Die wirklich selbst empfundenen. Dieser Balsam für die Seele. Wenn man die Welt umarmen könnte. Wenn man seine Zufriedenheit vor Glück selbst nicht fassen kann. Wenn man vor Freude platzen könnte. Wenn man vor Liebe den Verstand verliert.
Eigentlich müsste es das höchste Privileg einer Wohlstandsgesellschaft sein, dass die Menschen in ihr sich ihren Gefühlen zuwenden dürfen. Und wir tun genau das Gegenteil. Es ist das eigentliche Ziel, das wir aus den Augen verloren haben. Eine Gemeinschaft, in der es allen gut geht, ist eine Gemeinschaft, in der sich alle gut fühlen. Nicht nur rechnerisch sondern auch wirklich.
Somit muss man konzertieren, dass diese Gesellschaft nicht nur keine Vision hat sondern auch ein erstrebenswertes Ziel aus den Augen verloren hat. Gefühlter Gemeinschaftssinn. Die WM 2006 in unserem Land hat die Spitze eines Gefühlseisberges zum Vorschein kommen lassen. Unterdrückte Gefühle, die im Alltag keinen Platz haben. Und dabei gehören sie genau dort hin und zeigen eine viel bessere Richtung auf.
Ich fühle zuerst, dass eine Idee gut ist. Erst später wird mir bewusst, dass diese auch unter rationalen Aspekten noch immer gut ist. Der große Verlust an Romantik zwischen den Geschlechtern ist ein Ausläufer einer reduzierten Gefühlswelt. Woher soll sie kommen? Wenn ein Tag daraus besteht, seine Gefühle nicht zu fühlen. Wir können eben keinen Gefühlsschalter umlegen. Wer sich für „Off“ entschieden hat, weil „On“ in seine Welt nicht passt, der wird auch da keinen Platz für Gefühle haben, wo diese die Grundlage für etwas wie Gemeinschaft oder Gemeinsamkeit bilden, sondern muss sich mit der reduzierten Form begnügen. Beziehungsunfähigkeit ist bedingt durch Gefühllosigkeit. Wir bauen keine Beziehungen mehr auf, um nicht fühlen zu müssen. Was uns nicht erreicht, kann uns nicht berühren. Vielen ist es lieber so und geht es besser so.
Eine solche Distanz zu Gefühlen überträgt sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche. Die nötige Distanz ist gefordert. Wer fühlt, verliert. Denn er lässt sich ja von seinen Gefühlen leiten. Das ist in der veröffentlichten Meinung nicht gut. Gefühle passen da eben nicht hin. Da muss man eiskalt sein.
Ich bin ein bekennender Gefühlsmensch. Noch schlimmer, ich suche Gefühle gerade zu. Ich lauer ihnen auf. Ich gehe ihnen nach. Denn kleinen und den großen Gefühlen. Ich kann gar nicht genug davon bekommen. Ich wälze mich in ihnen. Die Emotionen auf und ab fahren zu lassen, bereitet mir größtes Vergnügen. Die Begegnung mit neuen Gefühlen und guten bekannten ist mir eine große Freude. Erst zu fühlen und dann zu denken, ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Ich jongliere gerne mit einem Gefühl. Lass es auf mich zukommen und dränge es auch schon mal zurück.
Ein Gefühl heraufbeschwören, ein schlechtes überwinden. Wenn alle Menschen erst fühlen würden, bevor sie bewusst darüber nachdenken, wenn Sie sich erst ein Gefühl und kein Bild machen würden, dann wären wir der Vision und dem eigentlichen Ziel sicher näher. Der Gewissheit, dass unsere Gefühle viel mehr über das aussagen, wie es wirklich ist, als alle anderen rationalen Bewertungen.