Donnerstag, 22. November 2007
Musik nach Normen
Wenn ich Musik höre, dann reagiert mein Gehirn sofort. Ist diese im Einklang mit meinen Normen? Ist sie das nicht, dann mag ich die Musik nicht. Sie kann aber auch zu leise oder zu laut sein. Oder es ist die richtige Musik am falschen Ort. Oder am völlig falschen Ort die richtige Musik. Es kann aber auch eigentlich die richtige Musik sein, aber irgendwas ist anders an ihr.
Meine Normen reflektieren mein empfinden, wenn ich Musik höre. Diese Normen sind gelernt. Niemand wird geboren mit einem Musikgeschmack oder Verständnis. Wie auch. Sondern die Sozialisierung, die Umwelt prägt unseren Musikgeschmack. Und das ist ein ständiges erfüllen oder nichterfüllen von Normen. Es ist wie ein Zug. Die Weichen der Umwelt führen uns in einen Bahnhof und das stellt dann unseren Musikgeschmack dar.
Ich höre jetzt schon den Aufschrei. Was ist mit Mozart und den ganzen hochbegabten dreijährigen, die Geige spielen. Hochbegabte langweilen sich in der Gegenwart von normalen Menschen. Sie nutzen zum Beispiel die Geige, um ihren Drang zu kanalisieren. Dabei geht es in erster Linie nicht um die Musik, sondern um das Ventil. Hochbegabte sind schnell gelangweilt. Sie müssen sich somit selbst beschäftigen, sich selbst Aufgaben und Ziele setzen, die allesamt jenseits der Vorstellungen von normalen Menschen verlaufen.
Ich rede von ganz normalen Menschen, die Musik gehört haben. Und die heute eine bestimmte Musik bevorzugen, weil diese sich ideal mit ihren Normen deckt. Die Musik vertont den eigenen Film vom eigenen Leben. Wenn ich zurück denke, dann gibt es Musikstücke, die wie eine Zeitreise Gefühle und Bilder in mir hervorrufen.
Es gibt Musik, die meine Stimmung untermalt. Manchmal bin ich in Situationen, da fällt mir ein, welche Musik am besten zu dieser passen würde. Musikgeschmack entwickelt sich entlang der Normen. Ich liebe Jazz. Soul. R&B. Funk. Aber eigentlich Jazz. Ich höre lieber keine Musik, als Musik, die ich nicht mag. Ich liebe die Ruhe. Die Stille. Außer sie wird mit Jazz ausgemalt.
Deshalb mag ich diese Berieselung nicht. Wenn irgendwo Musik läuft, die ich nicht mag und gegen die ich mich nicht wehren kann, die ich nicht abstellen kann. Man könnte mich mit schlechter Musik foltern, ich würde alles gestehen für Stille. Musik ist ein Interesse meines Lebens. Nur eins. Aber meine Normen sind da relativ festgefahren. Es ist Jazz. Ganz einfach Jazz.
Das macht mir das Leben und die Auswahl einfach. Denn im Jazz ist zu über 80% alles schon komponiert und gespielt worden. Somit greift man beim Jazz immer auf etwas zu, was einem wohlbekannt ist. Das ist gut zu wissen. Ich muss und ich will nicht ständig Neues oder Anderes hören. Weil ich weiß, was ich eigentlich hören will. Das ist das schöne an Normen. Vor allem, wenn man das Glück hat, dass diese kultiviert sind.
Menschen, die Jazz hören, sind sich da meist sehr ähnlich im Gemüt. Gibt es einen Massenmörder, der behauptet hat, immer Chet Baker gehört zu haben? Gibt es einen Diktator, der gerne Ella Fitzgerald gelauscht hat? Das schöne am Jazz ist, dass Menschen, die wirklich gerne Jazz hören, meist gute Menschen sind.
Denn das würde sich keiner antun, Jazz zu hören, damit andere denken, er sei gut. Das wäre sicher zu anstrengend. Somit sagen die Musikhörgewohnheiten viel über die Menschen aus. Denke ich. Sagen viel aus über die Normen, nach denen diese leben. Jazz muss man hören wollen und können. Ich weiß das nur zu genau. Darum würde ich Gäste nie mit Jazz quälen. Jazzhörer sind deshalb von Natur aus rücksichtsvoll. Sie befürchten ständig, andere mit ihrer Musik zu belästigen.
Somit soll und kann jeder hören, was er will. Soll er auch. Muss er auch. Wir hören das, was mit unseren Normen übereinstimmt und das sind viele und vor allem sind diese längst erwachsen. Ach ja, ich höre auch andere Musik, wie Klassik, oder Rock ’n’ Roll oder Rock. Es muss nur gut sein. Ich kann gute Musik aus allen Stilrichtungen gut hören. Was ich nur nicht hören kann und mag, ist schlecht gemachte Musik.
Leider höre ich das. Manchmal wünsche ich mir, dass ich darüber hinweg hören könnte. Aber ich kann nicht. Schlechte Musik quält mich. Auch im Jazz.
Da ist schon was dran - ABER - ohne die 20 % blauer Noten wäre der Jazz nicht das, wozu ich ihn (wie profan) nutzen kann.
Jazz ist dank seiner Interpretationssucht für mich der ideale Hirnentknoter. Ein komplexer Tag in der Agentur - den Speicher voll mit To-Dos und Textfragmenten - auf dem Weg nach Hause, da hilft ein Cannonball Adderley oder im Extremfall eine Bad Plus, wahre Wunder.
Luke Sullivan erzählte davon, dass sich Art Direktoren ständig über Filme unterhalten. Unterhalten sich Texter, Konzeptioner dann über Jazz?
Und der kreative Direktor wo möglich über beides?
Ist das philosophierswert? Ich glaube nicht.
Besser ich geh mal unter die Soundhaube, Entschuldigung bitte, habe einen Date mit Holly.