Donnerstag, 8. Februar 2007
Man möchte fliegen können (Hansgeschichten)
Das Land war eine Insel. Im Osten war eine weite Ebene. Gebirge gab es im Norden und im Westen und da bis ans Meer; mit steilen Flanken und mal mehr mal weniger Vegetation. Das Dorf war ein Nest, das am Berg klebte und aufs Meer hinunter sah. Die Häuser waren gelb getüncht, hellrosa und ockerfarben. Die Fensterläden waren grün und einige standen offen. In großen Tonkübeln blühten rosafarbene und hellblaue, blaue, blauviolette und weiße Hortensien. An den Mauern und Fassaden der Häuser kletterte der lilafarbene Oleander empor. Die Häuser standen dicht gestaffelt. Dazwischen gab es sehr schmale Gassen, durch die ein kräftiger Wind von Süden blies. Von der Piazza Umberto I. war das Meer kaum noch zu sehen. Die Straße herauf war Hans durch dichte Kastanienwälder gefahren. Von Zeit zu Zeit hatte sich ihm der Blick auf das Meer geöffnet und Marciana Marina mit dem alten Wehrturm am Hafen war zu sehen. Hier oben blies ihm der Wind einen feinen Sand ins Gesicht. Es war der Scirocco, der von Nordafrika heranwehte.
Einige Häuser an der Piazza hatten schmale Außentreppen aus Stein, die in der Art der Häuser verputzt waren und zu den oberen Stockwerken führten. Der Name des Platzes war über einer grünen Tür auf die Hauswand gemalt worden und langsam verblasst. Daneben hatte man eine neue Tafel angebracht, auf der Piazza del Recciso zu lesen war.
Ein dicker Mann mit kurzen Hosen und gelbem Hemd war gekommen und hatte begonnen einen Kanister mit Wasser zu füllen, das er am Gemeindebrunnen zapfte. Er beugte sich herunter und trank auch einen Schluck während sich der Kanister langsam füllte.
An dem Haus mit dem Schild CIRCOLO AMICI DE POGGIO war eine große, weiße Steintafel angebracht worden. Hans stand davor und versuchte die Inschrift zu übersetzen. Sie bezog sich auf einen S. PAOLO DELLACROCE FONDATORE DEL PASSIONISTI E APOSTOLO DELL´ ELBA, der im Juli 1735 auf dem Platz gepredigt hatte. Hans war sich nicht sicher, wofür oder wogegen er gepredigt haben könnte. Weitere handgemalte Straßenschilder zierten die verschiedenen Häuser am Platz. Außer dem Ortsnamen, der Name der Straße und der Nummer des Hauses, waren auf den Schildern sehr kunstvoll zwei Wappen dargestellt. Das linke Wappen zeigte einen Amboss und zwei Hämmer; das rechte eine Hand, die eine Zange hielt.
Der Mann, der den Kanister gefüllt hatte, verließ den Platz, ging bergauf und hatte schwer zu tragen, denn der Kanister war sehr groß.
In der Bar, in der Hans sich einen Campari holte, standen fünf Männer beisammen, die lautstark diskutierten. Ein schwarzer Hund wieselte um ihre Beine herum. Der Hund, der weiße Pfoten hatte, blickte Hans hinterher, als er mit dem Campari auf die Terrasse ging.
Der Wind hatte einen Sonnenschirm und Stühle umgeworfen. Ein Mann mit einem Fernglas, der am vorderen Rand der Terrasse saß, kommentierte die Anlegemanöver der Segler unten im Hafen von Marciana Marina. Wehrturm, Mole und Häuser waren in gleißendes Licht getaucht. Die Häuser der Hafenstadt waren gelb gestrichen und jedes hatte ein rotes Dach. Das Grün der Hügel schob sich bis an die Häuser heran und auch zwischen den Häusern verteilte sich viel Grün.
Hans sah auf das Meer, wo die Wellen weiße Schaumkappen trugen, die viele weiße Segelboote sein konnten, wenn man es so dachte. Über dem Meer lag ein weißer Dunstschleier, der die Sicht zum Festland trübte. „Man möchte fliegen können”, sagte der Mann, der durch das Fernglas sah.